Affinitäten einer heterogenen Romantik?
Die Werke Caspar David Friedrichs gelten heute als Inbegriff der romantischen Malerei. Seine Landschaftsgemälde haben in Form von Reproduktionen längst Einzug in die Populärkultur gehalten: Sie zieren Kalender sowie Alltagsgegenstände und werden vorzugsweise als Buchtitel für Fachliteratur zur Romantik herangezogen. Diese stetig zunehmende Aufmerksamkeit ist insofern bemerkenswert, als Friedrichs Arbeiten erst seit der Jahrhundertausstellung deutscher Künstler in der Berliner Nationalgalerie im Jahr 1906 das öffentliche Interesse zurückeroberten. So waren Friedrich und seine Werke im Laufe des 19. Jahrhunderts zugunsten einer anderen Romantikauffassung, die durch die Düsseldorfer Malerschule verkörpert wurde, zunehmend in Vergessenheit geraten. Diesen Umstand beleuchtet die Ausstellung „Caspar David Friedrich und die Düsseldorfer Romantiker“, die die Werke der Dresdner Künstler Friedrich, Ludwig Richter, Georg Friedrich Kersting, Johan Christian Clausen Dahl, Carl Gustav Carus und Ernst Ferdinand Oehme denen der Düsseldorfer Carl Friedrich Lessing, Johann Wilhelm Schirmer sowie Andreas und Oswald Achenbach erstmals gegenüberstellt. Als kooperatives Projekt zwischen dem Kunstpalast Düsseldorf und dem Museum für bildende Künste Leipzig haben die Kuratorin Bettina Baumgärtel und der Kurator Jan Nicolaisen die Bestände beider Sammlungen zu einem Dialog deutscher Romantik zusammengetragen und um zahlreiche Exponate externer Leihgeber ergänzt. Mit rund 120 Werken bietet die Ausstellung daher einen umfangreichen Blick auf das spannungsvolle Verhältnis zwischen den romantischen Kunstbewegungen Dresdens und Düsseldorfs während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
MdbK | CASPAR DAVID FRIEDRICH UND DIE DÜSSELDORFER ROMANTIKER
Im Versuch, die Heterogenität beider Strömungen ins Zentrum zu stellen, stützt sich das Ausstellungskonzept auf acht Themenkomplexe, anhand derer auch die Differenzen innerhalb der jeweiligen Romantikbewegungen verdeutlicht werden. Die Räume der Sonderausstellung im Leipziger Bildermuseum markieren durch die jeweilige Farbigkeit ihrer Wände die thematischen Abschnitte der Ausstellung und folgen damit den Kapiteln des begleitenden Katalogs.
Atelierszenen
Durch die Präsentation verschiedener Atelierszenen werden die abweichenden Darstellungsformen beider romantischer Kunstrichtungen veranschaulicht. Kerstings Gemälde Caspar David Friedrich im Atelier (ca. 1812) gewährt Einblick in die Arbeitsstätte Friedrichs (Abb. 1). Auf eine Stuhllehne gestützt betrachtet der Künstler seine Leinwand, deren Motiv sich dem Betrachter entzieht, wird dieser doch nur der Rückseite der Staffelei gewahr. Der Raum, der durch das große Fenster an der Rückwand mit natürlichem Licht erhellt wird, ist kahl und schmucklos wiedergegeben. Die wenigen zu entdeckenden Attribute, wie die Maßwerkzeuge und Paletten an der Wand, die Ölflaschen auf dem Tisch sowie Malstock und Pinsel in Friedrichs Händen dienen neben der raumfüllenden Staffelei ganz der Darstellung des künstlerischen Schaffensprozesses. Der schlichte Raum stellt somit den Maler ins Zentrum und betont den Reflexionsprozess des Inneren.
Kontrastiert wird diese Darstellung von Johann Peter Hasenclevers Atelierszene (1836) (Abb. 2). Der Künstler inszeniert einen Arbeitsraum an der Kunstakademie Düsseldorf, in dem sechs Kunststudenten unterschiedlichen Tätigkeiten nachgehen. Lediglich einer der Studenten ist im Begriff, eine Zeichnung anzufertigen. Doch ist es nicht die Gipskopie des Borghesischen Fechters am linken Bildrand, die studiert wird, sondern der junge Künstler Anton Greven, der die Position der Skulptur zu imitieren scheint. Anstelle des auf dem Boden liegenden Degens hält er eine Flasche Wein in der Hand, die er seinem Kollegen Joseph Wilms überreicht. Im Unterschied zu Kerstings klarer und reduzierter Ateliersdarstellung setzt Hasenclevers Werk den Betrachter einer Vielzahl visueller Eindrücke aus. Der Raum ist mit zahlreichen Bildern geschmückt und der Vordergrund zeigt eine Abundanz an verschiedenen Gegenständen. Ein Ritterhelm, eine Landkarte, ein Krug, ein paar Holzschuhe und eine Laterne scheinen neben vielen anderen Objekten den Studenten als Requisiten für das Zeichenstudium nach der Natur zu dienen. Auf dem Boden lassen sich darüber hinaus auch Zigarrenreste und Glassplitter einer zerbrochenen Weinflasche finden, die die Unordnung des Ateliers unterstreichen. Durch die Ausgelassenheit der Studenten sowie den Verzicht auf das Studium nach antiken Vorbildern präsentiert sich das Werk als satirische Kritik an den akademischen Ausbildungsinhalten.
Stille Schau auf die Landschaft und Andacht in der Natur
Das Thema des Betrachtens steht insbesondere in Friedrichs bekannten Werken mit Rückenfiguren im Vordergrund. Sein Gemälde Frau am Fenster aus dem Jahr 1822 zeigt eine weibliche Figur, die auf ein Fensterbrett gestützt nach draußen blickt (Abb. 3). Der Betrachter kann anhand der Schiffsmasten, die sich neben der Frau zu erkennen geben, nur erahnen, dass es sich um das Treiben an einem Fluss handeln muss, dem die Frau als stille Beobachterin beiwohnt. Das bereits aus Kerstings Gemälde Caspar David Friedrich im Atelier bekannte Fenster gibt Aufschluss darüber, dass es sich um Friedrichs Frau Caroline handelt, die von seinem Atelier aus auf die Elbe blickt. Durch die geschlossenen Fensterläden und den Blick auf Caroline ist dem Betrachter die Aussicht der Frau jedoch verwehrt. In einem Gespräch zwischen dem Kurator Nicolaisen und dem Kunsthistoriker Johannes Grave, das am 17. Oktober 2021 im Rahmen des Begleitprogramms in den Ausstellungsräumen stattfand, betonte Grave die signifikante Rolle der Rückenfigur, die es vermag, einen Reflexionsprozess über das Sehen anzuregen. Durch die Bildparallelität der Komposition wird eine starke Analogie zwischen dem Fenster und dem Bild hergestellt. Das Werk regt demnach dazu an, über Innen- und Außenraum des Bildes, aber auch über Betrachter- und Bildraum nachzudenken. Die Symmetrie der Komposition, die zahlreichen Linien der Balken und des Fensterkreuzes sowie die reduzierte Raumausstattung lenken den Fokus ganz auf die Frauenfigur und den Prozess des Betrachtens.
Das Gespräch zwischen Nicolaisen und Grave wurde durch das MdbK aufgezeichnet und über seinen Youtube-Kanal zur Verfügung gestellt:
MdbK | CDF Talk #1
Friedrichs zahlreiche Landschaftsdarstellungen lassen Raum für Deutungspluralität. Sein Gemälde Das Riesengebirge offenbart eine Ansicht auf eine ruhig vor dem Betrachter liegende Berglandschaft (Abb. 4). Die lineare und flächige Darstellungsweise evoziert eine statische Ruhe der Komposition, die weniger auf eine bestimmte Auslegung des Bildes als auf das Hervorrufen von Empfindungen abzielt. Es ist demnach am Betrachter, das Gesehene mit Sinn zu füllen. Die Uferlosigkeit der Landschaft steht im Kontrast zu dem kaum merklichen Wanderer, der im Vordergrund auf einem Stein sitzt. Das Verhältnis von Mensch und Natur wird hier in ein spannungsvolles Verhältnis gesetzt, das mit Verweis auf Carus’ Auffassung zur Landschaftsmalerei auch eine religiöse Komponente einbettet:
„Es ist eine stille Andacht in Dir, Du selbst verlierst dich im unbegrenzten Raume, Dein ganzes Wesen erfährt eine stille Läuterung und Reinigung. Dein Ich verschwindet, Du bist nichts, Gott ist alles.“
Lessings Gemälde Die tausendjährige Eiche verbindet das Sujet der Andacht mit der Landschaft hingegen auf andere Weise (Abb. 5). Zwei Figuren in mittelalterlich-anmutender Kleidung knien und beten vor einer Eiche, an deren Stamm eine Ikone befestigt ist. Auch wenn das Hauptaugenmerk auf der detailreichen Landschaftsdarstellung liegt, befinden sich Lessings Staffagefiguren im Gegensatz zu Friedrichs Wanderer inmitten einer konkreten Handlung und haben dadurch einen eher erzählenden Charakter. Trotz der differenten Umsetzung ist die Auseinandersetzung mit der Landschaft als Andachts- und Sehnsuchtsort doch beiden Darstellungen inhärent.
Das Sakrale des Naturbildes
Der pantheistische Ansatz, das Sakrale in der Natur zu finden, wird in Friedrichs Gemälden immer wieder verhandelt. Sein Werk Winterlandschaft mit Kirche (1811) macht diese Analogie besonders deutlich (Abb. 6). Die Betonung der Vertikalen von Kirche und Fichtenbäumen setzt die beiden Objekte in direkten Bezug zueinander. Wie Nicolaisen und Grave in ihrem Gespräch verdeutlichten, zeigt das Bild verschiedene Schwellen als Transitionsphasen. Der für Friedrich typische Nebel, der die Kirche umhüllt und in Teilen verdeckt, ist selbst als temporales Phänomen zu begreifen, das gewisse Dinge zwar verborgen hält, aber auch wieder ans Licht befördern kann.
An einen Felsbrocken gelehnt sitzt ein Mann, der seine Hände zum Gebet gefaltet hat. Die Situation erweckt den Anschein, dass ihm der dichte Nebel die Sicht genommen und somit den Weg zur Kirche versperrt hat. Stattdessen macht er an dem Stein im Vordergrund Rast und richtet den Blick an das direkt vor ihm an der Fichte aufgestellte Kruzifix. Die Krücken, die auf seine Gebrechlichkeit verweisen, hat er im Schnee zurückgelassen. Auch er scheint sich somit an einer Schwelle zu befinden, am Übergang zwischen Leben und Tod. So wird in Friedrichs Gemälde die Winterlandschaft mit Themen von Tod und Vergänglichkeit sowie Heilsvorstellungen miteinander verschränkt.
Auch Lessing setzte mit seinem Gemälde Klosterhof im Schnee um 1829 Naturdarstellungen in diese Beziehung (Abb. 7). Ein fast kahler Nadelbaum im Vordergrund wird von Schnee bedeckt, während das Wasser des Brunnens am rechten Bildrand zu Eis gefroren ist. Die Anmutung von Stille und Sterben, die die schneebedeckte Winterlandschaft evoziert, wird an das Geschehen im Hintergrund rückgebunden, wo Mönche mit ihren dunklen Kutten durch den Kreuzgang schreiten und einen Klosterbruder zu Grabe tragen. Die einzig warme Lichtquelle erstrahlt aus dem Inneren der Kirche, das im Zentrum der Komposition ein Kreuz als Verweis auf das christliche Heilsversprechen zu erkennen gibt.
Bilder vom Meer als Grenzerfahrung
In den dialogisch inszenierten Seestücken der Ausstellung treten die differente Formensprache und Darstellungsweise der beiden Strömungen besonders hervor. Friedrichs Lebensstufen zeigt fünf Personen verschiedener Generationen, deren Lebensalter durch die unterschiedlich großen und sich in ungleicher Entfernung zum Ufer befindenden Schiffe gespiegelt wird (Abb. 8). Das Meer liegt indes ruhig da und schlägt nur seichte Wellen. Die flächige Darstellung betont den entgrenzten Charakter der See und setzt sie in Beziehung zum Lauf des Lebens, sodass auf ein Spannungsfeld von Endlichkeit und Unendlichkeit verwiesen wird.
Andreas Achenbachs Seestück Ein Seesturm an der norwegischen Küste (1837) steht hingegen in deutlichem Kontrast zu Friedrichs nahezu statischer Seedarstellung (Abb. 9). Durch das große Format von 179 x 272 cm und die Art der Perspektivierung ist es im Vergleich zu Friedrichs Werken viel stärker auf immersive Effekte angelegt. Der Betrachter wird durch seine Positionierung am felsigen Steilufer regelrecht zum Augenzeugen eines Schiffsunglücks gemacht. Die dramatische Inszenierung des Seegangs zielt daher eher auf die Betonung des Spannungsverhältnisses der Kräfte zwischen Mensch und Natur als auf die der Entgrenzung der See.
Von der Naturstudie zum Komponierten Bild
Auch die Studien der Künstler werden in der Ausstellung gegenübergestellt. Sowohl die Dresdner als auch die Düsseldorfer Romantiker fertigten zahlreiche Zeichnungen und Ölskizzen von Bäumen und anderen Einzeldarstellungen von der Natur an, die sie später in ihren Ateliers zu Kompositlandschaften auf Leinwand zusammenfügten. Die durch akribische und genaue Beobachtungen entstandenen Vorstudien dienten den Künstlern als Bildersammlungen für neue Kompositionen. Der Düsseldorfer Johann Wilhelm Schirmer suchte seine Motive gezielt nach einer vorab geformten Idee für seine Werke aus, während Friedrich seine Studien ohne vorheriges Kompositionskonzept fertigte.
Die Entdeckung der heimatlichen Landschaft
In zahlreichen Werken der Ausstellung stehen regionale Landschaften im Vordergrund. Friedrich bereiste vor allem Gegenden in Sachsen, Böhmen und Schlesien sowie Vorpommern, während die Düsseldorfer Künstler ihre Studien im Rheinland, der Eifel und dem Harz fertigten. Das Gemälde Romantische Landschaft, Ahrtal (1828) von Schirmer ist eine idealisierte Darstellung, die aus verschiedenen Einzelstudien der Gegend zusammengefügt wurde (Abb. 10). Dass Schirmer hierbei nicht die wirklichen Gegebenheiten abzubilden suchte, zeigt schon die Rekonstruktion der eigentlichen Burgruine (Altenahr oder Hohenstein) zu einer Festung eines idealisierten Mittelalters. Die Lichtregie des Bildes hebt die Burg auf dem Berg hervor. Die Betonung der erhöhten Burg im Verhältnis zur Rückenfigur eines Ziegenhirten im Vordergrund vermittelt ein Sehnsuchtsgefühl nach einer idealisierten Vergangenheit, verbunden mit heimatlichen Landschaften. Zusammen mit seinem Düsseldorfer Kollegen Lessing gründete Schirmer 1827 den Landschaftlichen Componierverein, der gemeinsame Erkundungen in das Düsseldorfer Umland anstrebte, das zur damaligen Zeit noch nicht gut erschlossen war, um vor Ort Studien anzufertigen und sich im Künstlerkollektiv über diese auszutauschen. Auch das Bild Gewitterlandschaft mit Burg und Ritter (um 1816) des Dresdner Malers Oehme präsentiert eine solche Burgenromantik (Abb. 11). Die Lichtverhältnisse im Bild betonen auch hier die idealisierte Darstellung einer mittelalterlichen Burg auf einem Hügel; ein Effekt, der durch das am rechten Bildrand aufziehende Gewitter noch verstärkt wird. Im Vordergrund schreitet ein Ritter entlang des Weges in Richtung der Festung. Durch das Motiv der Heimkehr und der Verschränkung von Landschaft, Staffage und Burg schafft es auch Oehme, mit seinem Gemälde einen Sehnsuchtsgedanken zu visualisieren.
„Hymne an die Nacht“ – Mondscheinlandschaften
Abschließend verhandelt die Ausstellung die Rolle des Nachtstücks, das es durch seine spannungsvollen Lichtverhältnisse vermag, Stimmungen zu evozieren. Somit avancierte diese Darstellungsform in der Malerei der Romantik zu einer beliebten Bildgattung. Im Vergleich zu den idyllischen Burgenlandschaften erweitert Dahls Gemälde Mondschein beim Lohmener Grund mit der Ruine von Tharandt (1819) die Sehnsuchtsthematik um das Element der Vergänglichkeit (Abb. 12): Die Burg ist nun Ruine und die altdeutsche Tracht der Rückenfigur eine Reminiszenz an die Befreiungskriege. Die Kleidung verweist auf das erstarkende Nationalbewusstsein als Gegenbewegung zu Frankreichs politischer Dominanz zwischen 1813 und 1815 und wurde im selben Jahr, in dem Dahl sein Gemälde vollendete, durch die Karlsbader Beschlüsse in Teilen verboten. Der Mond als einzige Lichtquelle erstrahlt hinter den hochgewachsenen Nadelbäumen und taucht die Landschaft in ein stimmungsvolles Halbdunkel, das in seiner Verflechtung mit den Motiven des Wanderers und der Burgruine melancholische Sehnsüchte versinnbildlicht. Ein Vergleich mit Schirmers Landschaft im Mondlicht (1845–1855), das ohne Staffagefigur auskommt, verdeutlicht, dass trotz ähnlicher Formensprache der rezeptionsästhetische Charakter des Bildes ein anderer ist (Abb. 13). Das Ruinöse kommt hier in Form des prominenten Baumes zum Tragen, dessen knorriger und in Teilen abgebrochener Ast wie ein dunkler Schatten vor dem Mondlicht liegt. Diese düstere Komponente wird im Bild durch den vom Mondschein beleuchteten Pfad kontrastiert, der den Betrachter in die Tiefe des Bildraums ins Ungewisse führt. Dahls Landschaft hingegen bleibt durch seine parallel angeordneten Bildebenen eher unzugänglich.
Die Ausstellung und der Katalog widmen sich dem anspruchsvollen Versuch, Werke der deutschen Romantik in einen Dialog zu bringen, die große formalästhetische Unterschiede aufweisen. Somit werden durch die Gegenüberstellung der Dresdner und Düsseldorfer Bilder Problematiken exemplifiziert, die in der Romantikforschung schon lange diskutiert werden. Auf den vielschichtig konnotierten Begriff der Romantik machen auch die Kuratorïnnen in ihrer Einleitung zum Katalog aufmerksam. Wie die ausgestellten Werke zeigen, erscheint nicht nur die deutsche Romantik in sich heterogen, auch schließen die jeweiligen Strömungen differente Darstellungsweisen ein. Eine einende Komponente beider Romantiken sieht Grave in seinem Katalogbeitrag in der Deutungspluralität der Bilder. Bezugnehmend auf Immanuel Kants ‚ästhetische Idee‘, ergäbe sich durch die polyvalenten Deutungsmuster ein kritischer rezeptionsästhetischer Anspruch. Durch die Unbestimmtheit und dem gleichzeitigen Angebot vielfältiger visueller Eindrücke evozieren diese Werke einen vielschichtigen Rezeptionsvorgang, der sich sprachlich kaum fassen ließe. Eingedenk der fragilen Zustände von Friedrichs Werken beeindruckt die Ausstellung vor allem aufgrund der vielen zusammengetragenen Exponate. Durch die thematische Aufteilung der Räume wurde versucht, Trennendes und Einendes anhand verschiedener Themenkomplexe zu verdeutlichen. Doch leitet die Themenvorgabe den Blick der Besucherïnnen stark auf die motivischen Aspekte, sodass der Anschein erweckt wird, Gemeinsamkeiten zwischen beiden Strömungen seien vor allem in der Motivwahl begründet. In der Gegenüberstellung einzelner Werke wäre es daher wünschenswert gewesen, das vergleichende Sehen für die Betrachterïnnen stärker anzuleiten, um zugleich auf die rezeptionsästhetischen Aspekte, die im Katalog hervorgehoben werden, aufmerksam zu machen.
Nichtsdestotrotz bietet die Ausstellung anhand zweier ausgewählter Strömungen einen spannungsvollen Zugang zum Thema der Vielschichtigkeit deutscher Romantik, der für ein breites Publikum hervorragend aufbereitet wurde. Die in leicht abgewandelter Form bereits vom 25. Oktober 2020 bis 24. Mai 2021 im Kunstpalast Düsseldorf kuratierte Ausstellung musste durch den Lockdown im Winter unterbrochen werden. Nun ist auch die Leipziger Ausstellung bis zum 12. Dezember 2021 coronabedingt geschlossen und kann im Anschluss voraussichtlich noch bis zum 9. Januar im MdbK Leipzig besucht werden.