Matthis Glatzel , 31.03.2021

Closed, Now Online!

Dass die gegenwärtige weltweite Krise beeinträchtigend auf die gesamte Kunst- und Museumsbranche wirkt, muss an dieser Stelle sicherlich nicht abermals ausgeführt werden. Doch nach über einem Jahr und einem gegenwärtig langatmigen Lockdown ist es doch interessant, einmal zu fragen, wie „Romantik“ derzeit in Museen stattfindet, welche Kulturangebote trotz der gerade erst wieder verlängerten Dauerschließung wahrgenommen werden können? Eine kurze Suche zeigt ein heterogenes Bild an Bewältigungsstrategien:

Als auffälliges über die Romantik im Besonderen hinausgehendes Phänomen zeigt sich die Intensivierung der Internetauftritte zahlreicher Museen, die im Zuge der ersten Welle im Frühjahr vergangenen Jahres großflächig den Kurznachrichtendienst Twitter für sich entdeckten. Unter dem Hashtag „#MuseumFromHome“ finden sich weltweit Museen, die in Bildern, Videos und kurzen Texten diesen Kanal für sich erschließen. Im Kontext dieses Phänomens dominiert die Form Twitter den Inhalt. Diese Tweets lesen sich, als ob das eigentliche Angebot nicht ersetzt, sondern ein Bewusstsein für diesen Teil der Kulturindustrie am Leben erhalten werden soll. Einige Museen gehen jedoch weiter und unternehmen den Versuch, das gewöhnlich vor Ort gebotene Erlebnis in den digitalen Bereich zu heben.

So zeigt beispielsweise der Kunstpalast in Düsseldorf zahlreiche kurze Videos zu einzelnen Exponaten der Ausstellung „Caspar David Friedrich und die Düsseldorfer Romantiker“. Die MitarbeiterInnen der Einrichtung bieten in diesen Videos hochinformative Bildinterpretationen. Gleichzeitig fokussiert die Kamera immer wieder das besprochene Werk, um die Aussagen der ReferentInnen wirksam zu unterstreichen. Der Mehrwert solcher Darstellungen liegt auf der Hand: Wann sonst bekommt man von zu Hause aus eine derart hochwertige Einführung in ein Kunstwerk geboten? Während man nun über Caspar David Friedrichs Kreidefelsen auf Rügen erfährt, dass hier keine bloß naturalistische Darstellung der Ostseeinsel gezeigt wird, sondern vielmehr eine metaphorische Thematisierung von Jenseits und Diesseits vorliegt, drängt sich nichtsdestotrotz der Wunsch auf, doch etwas näher heranzurücken, um die beschriebenen Facetten genauer betrachten zu können.

In der Beschreibung des vom selben Künstler geschaffenen Werkes Segelschiff erfahren wir nun, dass jenes die Lebensfahrt und der nahezu goldene Himmel das Göttliche verkörpert. Mit jedem Schlagwort fokussiert die Kamera das erörterte Motiv. Dieser Fokus wird jedoch jeweils nur für einige Sekunden eingespielt. Die Möglichkeit, einmal zu verharren und das Bild in seiner ganzen Wirkung aufzunehmen, gibt es nicht. Es bleibt weiterhin ein Film, ein YouTube-Video, und die stetig wechselnden Kameraeinstellungen erinnern einen immer wieder daran, dass man am heimischen Schreibtisch sitzt und eben nicht vor Ort ist. Unweigerlich drängt sich die Frage auf, was denn das Eigentümliche ist, dass ein Museumsbesuch bietet. Warum haben wir uns nicht schon lange vor der Ausbreitung eines potenziell tödlichen Virus dazu entschieden, Werke berühmter Künstler oder weitere Ausstellungsstücke vermittelt über den heimischen Bildschirm zu beschauen?

Vielleicht ist das Umhergehen, das Mustern der Exponate in einem eigenen Tempo, eben das was jene gesuchte Eigenart ausmacht. Im Romantikerhaus in Jena, im Kügelgenhaus in Dresden und vielen anderen Einrichtungen wird versucht, eben jene Eigenart zu simulieren: Hier bietet sich jeweils die Möglichkeit, sich durch eine dreidimensionale Darstellung der Ausstellung zu navigieren. Durch weitere Schaltflächen erlangt man Ausführungen zu den einzelnen Räumen. Lässt man sich ein wenig auf dieses Konzept ein, so hat man fast den Eindruck, tatsächlich durch ein Museum zu gehen. Besonders eindrucksvoll ist im Dresdner Kügelgenhaus der Salon, in dem einst namhafte Persönlichkeiten der Weltgeschichte empfangen wurden. Man erfährt, dass Goethe im April 1813 am Fenster des Raumes stand, um der Ankunft des Zaren Alexander I. und König Friedrich Wilhelm III. beizuwohnen. Das digitale Konzept bietet nun konsequenterweise in nur einem Klick eine 360-Grad-Sicht auf die beginnende Dresdner Neustadt. Die Räume in ihrer Gesamtkomposition wirken und es fehlt vielleicht nur noch ein Knarren der Dielen unter den Füßen. Problematisch wird es jedoch, wenn man die Ausstellungsstücke, wie etwa die alten Athenaeum-Bände in Jena, genauer begutachten möchte. Man kommt schlicht nicht nah genug heran und so offenbart sich auch hier eine merkliche Distanz. Das eigenständige, autonome Mustern, das Entdecken kleiner Details, es fehlt. Positiv formuliert bereiten solche Darstellungen Lust, das Museum einmal ganz analog zu besuchen, einen tatsächlichen Ersatz können diese Angebote nicht bieten.

Einige Einrichtungen versuchen nun nicht nur die analoge Darstellungsform zu imitieren, sondern greifen auch auf komplett digitale Konzepte zurück. Hierfür lohnt es sich den Blick über das Themenfeld „Romantik“ hinaus zu weiten:

Das Jüdische Museum Berlin bietet beispielsweise seine Ausstellung „Jüdische Keramikerinnen aus Deutschland nach 1933“ in Kooperation mit der Plattform Google Arts&Culture in Gänze digital an. Ähnlich verfährt auch das Deutsche Schifffahrtsmuseum Bremerhaven mit seiner Ausstellung „Die Bremer Kogge“. Geboten wird die Möglichkeit eine Vielzahl von Bildern und bewegbaren Grafiken mit dazugehörigem Textmaterial durchzusehen. Diese Konzepte scheinen komplett im digitalen Raum beheimatet und speisen aus jenem auch ihre Präsentationsform.

Insbesondere in der deutschen Museumslandschaft sticht jedoch das Städel-Museum in Frankfurt am Main hervor: Dort begegnet einem unter dem Titel „Museum für zu Hause – Live“ ein aufwendiges Programm zahlreicher Online-Touren. Erwirbt man ein Ticket, so erhält man die Möglichkeit, zu ganz konkreten Terminen an einer Führung durch das Museum teilzunehmen. Das Ganze geschieht über die Plattform Zoom, womit man den Führungen tatsächlich live und in Echtzeit beiwohnen kann. Ganz offensichtlich wird der Versuch unternommen, die Not zur Tugend zu machen, wenn damit geworben wird, die Führungen „vom Sofa aus“ oder entspannt „in der Mittagspause“ zu genießen. Dass diese Angebote qualitativ überzeugen, zeigt nicht zuletzt die Nominierung des Titels „Finding van Gogh“ aus der eigens eingerichteten Podcast-Reihe für den Grimme Online Award. Auch die Ausstellung „Städels Beckmann. Beckmanns Städel“, die aktuell wieder unter Einschränkungen besucht werden kann, wird durch ein Internetangebot, wie etwa einer ausführlichen Präsentation auf YouTube begleitet.

Exemplarisch an diesem Beispiel zeigt sich eine feststellbare Förderung digitaler Angebote innerhalb einer auf neue Konzepte angewiesenen Museumslandschaft. Insbesondere Twitter wird jedoch nicht nur im Dienst einer Erhöhung der Reichweite der digitalen Angebote genutzt, sondern auch um auf die mögliche Öffnung des Normalbetriebes hinzuweisen. Somit gilt es doch zu hoffen, dass in naher Zukunft wieder zu einem normalen Museumsbetrieb zurückgekehrt werden kann. Die zusätzlichen digitalen Angebote dürfen jedoch gerne bleiben.