Der letzte Romantiker?
Lange Zeit stand der 1842 in Dresden geborene Künstler Albert Venus im Schatten seines Lehrers und Förderers Ludwig Richter. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) widmen dem Maler nun erstmals eine Einzelschau, die noch bis zum 22. Januar im Kupferstich-Kabinett des Dresdner Residenzschlosses zu sehen ist (Abb. 1). Die Ausstellung bietet einen breiten Einblick in das Schaffen von Venus, der von frühen Zeichnungen und Aquarellen bis hin zu Studien und Ölbildern seiner Romreisen reicht. Der Impuls zu dem Projekt stammt von Florian Illies, der zugleich Co-Kurator der Schau ist. [1] In Verbindung mit dem 2020 erschienenen Band Poesie der Linie. Albert Venus und Victor Paul Mohn in Rom von Reinhard Wegner erfahren Leben und Werk des Dresdners so endlich eine kritische Aufarbeitung, die eine solitäre Betrachtung ermöglicht. [2]
Zu den über 100 präsentierten Zeichnungen, Aquarellen und Ölbildern (Abb. 2) zählen neben Leihgaben und Werken aus dem eigenen Bestand auch acht eigens erworbene Ölstudien. Ergänzt werden die Objekte um eine Schenkung von 16 Zeichnungen, die der Öffentlichkeit erstmals zugänglich gemacht werden. Die ausgestellten Arbeiten lassen erkennen, dass Venus vorrangig in kleinen Formaten arbeitete. Aufgrund der chronologischen Gliederung lässt sich die Werkgenese des Künstlers nachvollziehen. Venus war im Alter von 14 Jahren an die Dresdner Kunstakademie gekommen, wo er ab ca. 1859 die Akademieklassen des Richter’schen Landschaftsateliers besuchte. [3] Ein Selbstbildnis um das Jahr 1860 spiegelt die frühe Prägung durch den Lehrer wider (Abb. 3). In einem gerahmten Rechteck blickt der junge Venus dem oder der Betrachter:in entgegen. Er sitzt an seinem Schreibtisch, ist leicht über sein Zeichenbrett gebeugt und inszeniert sich so als Künstler, was durch die Staffelei im rechten Vordergrund noch unterstrichen wird. Insbesondere die innerbildliche Rahmung mit den sich anschließenden Arabesken, die ihren Ausgangspunkt in vegetabilen Formen nehmen und dann in geschwungene Haarlinien übergehen, weckt Assoziationen zum druckgraphischen Werk Richters, etwa zu einer 1844 entstandenen Trinklied-Illustration (Abb. 4).
Im Rahmen der Ausbildung an der Akademie unternahm Richter mit seinen Schülern zahlreiche Ausflüge in die Natur, um im Dresdner Umland sowie in Nordböhmen Studien anzufertigen, die in Teilen auch zur späteren Ausarbeitung von Ölgemälden dienen sollten. In einer solchen Exkursion scheint auch der Ursprung des Bildes Landschaft bei Sebusein (1865) begründet zu liegen (Abb. 5). Das Ölgemälde versetzt den oder die Betrachter:in auf einen hohen Standpunkt mit Blick über die Gebirgslandschaft. Vorder- und Mittelgrund sind in Ocker-, Orange- sowie Gelbtönen gehalten und geben somit den Eindruck des warmen Sonnenlichts wieder, während die Farben im Hintergrund kühler und dunkler werden. Durch die genaue Beobachtung und feine Wiedergabe der Lichtverhältnisse und Farbkontraste gelingt Venus ein stimmungsvolles Landschaftsgemälde, das sich in seinem kompositorischen Aufbau noch an den Landschaftsbildern seines Lehrers orientiert (Abb. 6), hinsichtlich der Farbgebung und freien Pinselführung jedoch bereits eigenständige Züge erkennen lässt.
Venus’ sukzessive Loslösung von Richters Technik und die Entwicklung eines eigenen Landschaftsstils hebt die Ausstellung vor allem durch Werke hervor, die zwischen 1866 und 1869 während zweier Italienreisen entstanden. Gemeinsam mit seinem Freund und Studienkollegen Viktor Paul Mohn reiste Venus dabei auch an Orte, die Richter in den 1820er Jahren selbst im Bild festgehalten hatte. Hinsichtlich der Umsetzung unterscheiden sich die beiden Richter-Schüler jedoch und so vermerkt Mohn in seinem Tagebuch über seinen Freund: „Der Teufel reitet ihn, sein zweites Wort ist – Achenbach.“ [4] Gemeint war, dass sich Venus in der Entwicklung seines Malstils von den stimmungsvollen und malerischen Ansichten des Düsseldorfers Oswald Achenbach inspirieren ließ, womit er sich zunehmend vom zeichnerischen Schwerpunkt der Richter-Schule (Abb. 8) löste. Auf diesen Reisen entstand auch das Aquarell Campagnalandschaft, das die Gegend in einem warmen Orange in verschiedenen Farbflächen wiedergibt. Die Berge sind in parallelen Schichten angeordnet und grenzen sich im Hintergrund durch verschiedene Abstufungen in Violett und gedecktem Rosa voneinander ab. Auch der weiche Farbverlauf des Himmels von Gelb zu Blau verleiht dem Bild eine atmosphärische Wirkung. Neben Achenbach sind auch die Schule von Barbizon bzw. Corot und seine Nachfolger als mögliche Vorbilder zu nennen, die in ihrer Pleinairmalerei durch den gezielten Einsatz des Kolorits versuchten, stimmungsvolle Lichtwirkungen hervorzurufen. In ihren Überlegungen zum Einsatz der Farbe bei Albert Venus stellt Jane Boddy im begleitenden Ausstellungskatalog das Verhältnis zwischen Farbe und Zeichnung in Venus’ Werken heraus. Sie beschreibt Farbe dabei nicht nur als ästhetische, sondern auch als kunstpolitische Kategorie, deren „malerischer Schein“ für Richter stellvertretend für die Düsseldorfer Schule stand. [5] Das Oeuvre des Künstlers erscheint in dieser Hinsicht jedoch nicht stringent, bleibt doch die Zeichnung präferiertes Ausdrucksmittel in den Skizzenbüchern und für Landschaftsbildnisse (Abb. 9).
Der Ausstellung gelingt es, durch die vielschichtigen Exponate, zu denen auch Skizzen und Briefe gehören, umfangreiche Einblicke in Venus’ Leben und Werk zu gewähren. Die Hängung ermöglicht, dass Besucher:innen der Emanzipation und Entwicklung Venus’ nachspüren können. Der Blick wird dabei immer auch auf die Genese seiner Ausdrucksmittel gerichtet und somit geschult. Während sich Venus’ Landschaftsauffassung hin zu atmosphärischen Lichtbildern auch ohne Vorwissen nachvollziehen lässt, erschließt sich der Kontext des Nachbarraums nicht ohne Weiteres. Dort stellt das Kupferstich-Kabinett den Werken des Romantikers Arbeiten Raimund Girkes (1930–2002) gegenüber. Insgesamt handelt es sich um 45 monochrome, abstrakte Zeichnungen und Gouachen, die in einen indirekten Dialog mit der Venus-Ausstellung treten, wobei darauf verwiesen wird, dass „die Verknappung von Farben und Formen elementare Seh- und Bilderfahrungen [ermöglicht], andererseits scheint der analytische Blick einen Zugriff auf die Natur zu spiegeln, der überraschend romantische Züge aufweist.“ Welche romantischen Züge hierbei gemeint sind, bleibt jedoch offen. Der sicherlich vielversprechenden Frage nach dem Romantischen in Girkes Oeuvre wird nicht nachgegangen. Stattdessen entsteht der Eindruck, dass erneut die Auseinandersetzung mit der Natur synonym für Romantik gesetzt wird, um dadurch zwei disparate Phänomene zu vereinen.
Darüber hinaus bleibt fraglich, ob eingedenk des frühen Todes von Venus am 26. Juni 1871 im Alter von nur 29 Jahren mit dem Künstler „die Dresdner Romantik an ihr leuchtendes Ende [kommt]“, wie Illies resümiert. [6] Dieses Fazit würde nicht nur die Werke anderer Richter-Schüler wie Viktor Paul Mohn, Carl Wilhelm Müller oder Rudolf Schuster unberücksichtigt lassen, deren kritische Aufarbeitung noch aussteht, auch wird der Romantikbegriff hierdurch stark epochal ausgelegt. „Der letzte Romantiker“ scheint daher eher das Resultat der Suche nach einem prägnanten Ausstellungstitel als einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Romantikauffassung zu sein. Nichtsdestoweniger liefert die Ausstellung wichtige Impulse dafür, wie zukünftig über die Kunst der Romantik und deren Dresdner Vertreter nachgedacht werden kann.
Anmerkungen
[1] Florian Illies: „Der letzte Romantiker. Ein neuer Blick auf Albert Venus“, in: Der letzte Romantiker. Albert Venus, hg. von dems./Jane Boddy/Stephanie Buck/Petra Kuhlmann-Hodick, Ausst.-Kat., Dresden 2022, S. 11–27.
[2] Reinhard Wegner: Poesie der Linie. Albert Venus und Victor Paul Mohn in Rom, Frankfurt am Main 2020.
[3] Richter lehrte zwischen 1836 bis 1876 an der Dresdner Kunstakademie.
[4] Viktor Paul Mohn: Tagebucheintrag, Rom 1869. Zit. n. Karl Josef Friedrich: Ludwig Richter und sein Schülerkreis, Leipzig 1956, S. 118.
[5] Jane Boddy: „Überlegungen zum Einsatz der Farbe bei Albert Venus“, in: Der letzte Romantiker. Albert Venus, hg. von ders./Stephanie Buck/Florian Illies/Petra Kuhlmann-Hodick, Ausst.-Kat., Dresden 2022, S. 45–61, hier S. 45.
[6] Florian Illies, in: Der letzte Romantiker. Albert Venus, hg. von dems./Jane Boddy/Stephanie Buck/Petra Kuhlmann-Hodick, Ausst.-Kat., Dresden 2022, Rückseite des Einbands.