Gibt es eine Kunst der Romantik?
Am Freien Deutschen Hochstift fand am 19.11.2019 die zweite Vortrags- und Gesprächsreihe unter dem Motto „Was ist Romantik?“ ihren Abschluss. Die Veranstaltungsreihe, die sich dem Phänomen ‚Romantik‘ bis dato auf ganz unterschiedliche Weise angenähert hatte, widmete sich nun erstmalig ganz dezidiert der bildenden Kunst. Dabei sollte nichts Geringeres unternommen werden, als eine Art Typologisierung der Bildkünste, um probeweise die Frage zu klären, ob es eine (einheitliche) Kunst der Romantik überhaupt gäbe. Die Auswahl der Gesprächspartner, die Mareike Hennig, Leiterin der Kunstsammlungen des Freien Deutschen Hochstifts, getroffen hatte, war insofern gelungen, als ihre Gäste durch ihre jeweiligen Forschungsschwerpunkte einen differenzierten Zugang zum Thema erwarten ließen. Mit dem Leiter der Sammlung des 19. Jahrhunderts der Hamburger Kunsthalle, Markus Bertsch, holte sie sich einen ausgewiesenen Kenner der – wenn man so will – künstlerischen Frühromantik ins Frankfurter Goethehaus, während der Göttinger Kunsthistoriker und Lehrstuhlinhaber Michael Thimann als Experte für die „spätromantische“ Kunst der Deutschrömer und Nazarener gilt.
So wurde als Einstieg in die offene Gesprächsrunde die Frage gestellt, ob die Kunst der Romantik denn als subjektive und emotional aufgeladene Kunst zu verstehen sei, oder ob sie eher eine in formaler Strenge ausgeführte objektive Kunst sei. Diese suggestiv gestellte Frage führte dann recht zügig die Ambivalenz der romantischen Kunst vor Augen. Gerade im Vergleich der Werke von Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge, Friedrich Overbeck und auch – falls man ihn noch der Romantik zuschlägt – Carl Blechen zeige, so beide Gäste mehr oder weniger unisono, dass man es mit ganz verschiedenen Kategorien von Bild zu tun habe. Darüber hinaus, so merkte Thimann an, schließe das Objektive einer genauestens ausgeführten Komposition und Konstruktion eine vermeintlich subjektive Unmittelbarkeit des Abgebildeten nicht kategorisch aus. Trotzdem sei die romantische Kunst, wenn man sie denn einer Kategorie zuzuschlagen gezwungen wäre, eine eher emotionale Kunst.
Was die Kunst der Romantik indessen von den ihr vorangegangenen Epochen unterscheide, sei sowohl ihr neuer Umgang mit Bildgattungen (hier vor allem mit der Landschaft) als auch mit Bildkonzepten wie dem des romantischen Sinnbilds oder der romantischen Hieroglyphe bzw. Arabeske. Und genau hier, so merkte Bertsch treffend an, gebe es entscheidende Verbindungen unter den doch durchaus verschiedenen Künstlern der Romantik. Das begriffliche Instrumentarium und einige Ästhetisierungsstrategien seien – trotz aller Unterschiedlichkeit der Bilder – bei Runge und Overbeck durchaus ähnlich.
Daran knüpfte sich die Frage an, warum denn ausgerechnet die Landschaft als Motiv so eng mit der bildenden Kunst der Romantik verknüpft sei. Dass es dafür gleich mehrere Begründungsfiguren gebe, führte Markus Bertsch aus. So sei die Landschaft für die Romantiker eben jene Bildgattung gewesen, die den von ihnen geforderten Neubeginn der Kunst ernsthaft begründen konnte, da sie bis dahin in der Hierarchie der Gattungen eher eine randständige Position innehatte. Häufig sei darüber hinaus – mittels einer deutlichen Aufwertung und Aufladung des Profanen und Prospekthaften der Landschaftsdarstellung – das für die Romantik typische Transzendenzangebot unterbreitet worden. Die der romantischen Kunst stets attestierte Grundstimmung des Erwartungsfrohen und Ahndungsvollen fand letztlich in dem über sich hinausweisenden Gegenstand der Landschaft ihr prominentestes ikonografisches Äquivalent in der bildenden Kunst, ergänzte Michael Thimann.
Daran anschließend richtete sich der Fokus des Gesprächs auf den romantischen Künstlertypus. Nicht zu unterschätzen sei, so bestätigten Bertsch und Thimann, dass sich um 1800 ein fundamentaler Wandel der Rolle des Künstlers vollzog. Da sich die alten festen Bindungen des Künstlers an die Institutionen Kirche und Hof nun zusehends lösten und ein bürgerlicher Kunstmarkt signifikanten Einfluss auf die Produktion gewann, führte dies zu der Herausbildung eines relativ freien Kunstmarkts und freier Kunstschaffender. Die weitestgehend aufgehobene Bindung an Werkstätten oder Auftraggeber bedingte jedoch auch erstmals die Entwicklung eines Künstlerprekariats. Der „einsame Künstler“, oftmals retrospektiv zum Künstlertypus der Romantik stilisiert, sei aber nicht wirklich ein genuin romantischer, waren doch auch Friedrichs berühmte Selbstdarstellungen meist inszeniert und die Nazarener gut vernetzt und nahezu männerbündisch organisiert.
Abschließend waren beide Gäste dazu aufgefordert, ein für sie typisches Bild der Romantik vorzustellen. Bertsch entschied sich für ein Werk aus dem reichhaltigen Fundus seines Hauses – Philipp Otto Runges Blatt Arions Meerfahrt. Die von Runge inszenierte Seelandschaft, mit ornamentalem und nahezu arabesken Repoussoir, illustriere den (auch durch die Romantik) wiederentdeckten Mythos auf eine epochentypische Weise; im Übrigen auch, indem sie auf die vielleicht „romantischste aller Künste“ verweise – auf die Musik. Thimann entschied sich für ein frühes Selbstbildnis Friedrich Overbecks (Selbstbildnis mit der Bibel), welches den Künstler mit aufgeschlagener heiliger Schrift vor einer leeren Leinwand zeigt. Nicht nur die Verbindung der Kunst zur Religion werde hier offenbar, sondern die genaue Studie zeige, dass die Romantik auch als Epoche der radikalen Selbstbefragung des Künstlers gelten müsse.
Mit der Vorstellung dieser beiden Werke endete die Veranstaltung und entließ ein Publikum, das durch die Einblicke in die bildende Kunst der Romantik neugierig auf detailliertere Ausführungen sein dürfte. Der gut zusammengestellte Überblick konnte selbstverständlich nur schlaglichtartig einen Blick auf die Kunst der Romantik werfen – ebenso selbstverständlich blieb das eine oder andere kanonische Werk unerwähnt. Leider fand die romantische Kunsttheorie kaum Erwähnung. Daher wäre zu wünschen, dass die Veranstaltungsreihe zur Romantik fortgesetzt wird. Rückten die bildenden Künste dabei weiter in den Fokus, würde womöglich – wie an diesem Abend auch – die Heterogenität der romantischen Bildkünste weit stärker sichtbar, als ihre vermeintliche Einheit.