Literarische Reise ins Romantik-Hotel. Studentische Intervention im Kleist-Museum Frankfurt/Oder
Das Museum lädt die Besuchenden dazu ein, sich selbst ein Bild zu machen. Die Frage „Was ist für Sie romantisch?“ bildet dabei den Ausgangspunkt für einen Kurzausflug in die Epoche und in die romantischen Aspekte von Kleists Werk. Gerade dieser Zugang zeigt, wie aktuell Kleist gelesen werden kann – aber auch, wo Konflikte entstehen, zwischen dem, was die Kulturepoche der Romantik auszeichnet und dem, was heute als Romantik vermarktet wird.
Dieser Diskrepanz widmet sich auch die kuratorische Intervention, die wir, Studierende der Martin-Luther Universität, im Rahmen eines Seminars unter der Leitung von Dr. Christiane Holm und Dr. Barbara Gribnitz gestaltet haben. Im Zuge eines Gruppenstipendiums der Kulturstiftung Schloss Wiepersdorf setzten wir uns intensiv mit dem romantischen Kleist auseinander. Dabei ergaben sich Reibungen zwischen unseren Vorstellungen der Epoche und den Texten Kleists. Schnell wurde klar: gerade diese Reibung – gerade das, was es so schwer macht, das Romantische im Werk Kleists zu fassen – macht die Auseinandersetzung spannend! Die Spannung zwischen wissenschaftlich diskutiertem Kanon und den verschiedenen Lesarten von Kleists Texten versuchten wir in unseren Zugang einzubinden. Dabei betrachteten wir schauerromantische Elemente und unzuverlässige Erzählinstanzen, verschiedene Spielarten des Gender-Trouble zwischen Handeln und Aushandeln, das Fragmentarische sowie ästhetische Wahrnehmungskonflikte. In den Fokus rückten solche Texte, in denen wir Figuren oder Handlungsinhalte konträr lesen konnten, sodass sich das vom Sosias im Amphitryon lamentierte ‚Doppelt-Sein‘ für uns bald auch in anderen Texten wie dem Bettelweib von Locarno, dem Findling oder dem neueren (glücklicheren) Werther fand. Diese Lesart von Kleist, als Meister der ‚Verrückung‘ romantischer Formen, Motive und Stereotype wollten wir in unserem Beitrag zur Sonderausstellung umsetzen.
Das dadurch entstandene „Romantik-Hotel“ geht von einem aktuellen Alltagsverständnis des Romantischen aus, das vor allem mit romantischem Wohlgefühl im Dienstleistungsfeld verbunden ist. Diese Kommerzialisierung wird dabei in unmittelbaren Konflikt zu den Texten Kleists gesetzt. Plakativ geschieht dies an der „Hotelrezeption“ in der Raumpassage vor der Ausstellung. Wie Zimmerschlüssel sind dort Souvenirs an der Wand angebracht, welche die Besuchenden auf ihre (Heim-)Reise mitnehmen können. Sie bestehen aus kleinen Päckchen, in denen vertraute Hotelutensilien gegen kurze Textauszüge Kleists ausgespielt werden. Nicht illustrativ, sondern konfrontativ laden diese Objekt-Text Duos zum Grübeln ein: in welcher Beziehung steht beispielsweise die Schlafmaske mit den Worten des Sosias im Amphitryon? Wie passt eine Duschhaube in Das Erdbeben in Chili? Zur alltagsnahen Auseinandersetzung mit Kleists Sprache angeregt wird auch durch eine Schreibstation, an der weiße Postkarten mit Tinte und Feder mit den „Gedanken eines Ausstellungsbesuches an die Daheimgebliebenen“ befüllt und verschickt werden können. Ähnlich den fiktiven Briefeschreibern in den „Kunstbriefen“ können die Besuchenden hier ihre eigenen Ein- und Ausdrücke von Kleists Romantik mitteilen.
Mitgenommen werden kann man auch den Auftrag zur „Allmählichen Verfertigung der Geräusche beim Lesen“. Hier wird das Drauflos-Reden, für das sich der Dichter ausspricht, mit einem Drauflos-Lesen komplementiert und gefragt: wie entfaltet sich das Spiel mit den Nebentönen, den Hintergrundgeräuschen in den Assoziationen, die die Lektüre hervorruft? Bereits im Foyer des Museums, aber auch gerne in Ruhe zu Hause, können eigene Geräusche aufgenommen werden, die dann über die Homepage des Museums in eine romantische Klangpassage im Eingangsbereich eingespeist werden. Doch nicht nur hintergründig ist Romantik hörbar: Die „Macht der Musik“ selbst wird hier zur Hauptdarstellerin, wie es in zwei vergleichbaren Erzählungen bei Heinrich von Kleist und E.T.A. Hoffmann der Fall ist. Jörg Holzmann hat zwei musikalische Resonanzräume komponiert, die diese besondere Qualität in konzentrierter Form erlebbar machen.
Kleist, selbst Musiker, hat auch romantisches Liedgut hinterlassen. Auch wenn sie heute gerne ausgeblendet werden: Kriegslieder sind keine Randerscheinung der Romantik. Ihre brutale Eingängigkeit beziehen sie nicht zuletzt aus poetischen Verfahren, die ebenso in Naturgedichten wirksam sind. Im Liedlabor können Besuchende aus Naturgedichten Kriegslieder und aus Kriegsliedern Naturgedichte machen und dabei romantische Kriegsgedichte verstehen, aber auch durchkreuzen.
Über diese individuellen Schreib- und Lesezugänge hinaus haben wir am 4. November 2022 eine punktuelle Intervention zu „romantischen Zweisamkeiten“ gestaltet. In fünfminütigen Rendezvous werden den Besuchenden hier thematische Schwerpunkte innerhalb der Sonderausstellung angeboten: Frauenbilder und auf Ergänzung ausgerichtete Geschlechterrollen, Briefbeziehungen und auf Gleichheit ausgerichtete Freundschaftsideale sowie Dialoge innerhalb von verdoppelten oder gespaltenen Figuren.
Beschlossen wird diese Veranstaltung durch eine Lesung von Kleists Der Schrecken im Bade, einem Text, der aufgrund seiner perspektivischen Verschiebungen im sprachlichen Handeln seiner dramatis personae die Frage aufwirft: welche Zweisamkeit hier bespielt wird.
Die Autorin ist Studentin des Masterprogramms „Kulturen der Aufklärung“.