Donnerstag 07. Juli 2022 -

„Wasser/Landschaften"

Ökologien des Fluiden um 1800

Wo in der historischen Romantik literarische, bildnerische, musikalische oder auch gärtnerische Landschaftsbilder entworfen werden, ist oft auch das Element ‚Wasser‘ zu finden: Seien es die schwungvoll gewundenen Bäche oder kunstvoll arrangierten Teiche und Wasserfälle in Landschaftsgärten; spiegelglatte Küsten- und Seenflächen, die das Sonnen- oder Mondlicht in sommerhellen oder unheimlich illuminierten Farben reflektieren; vom Wind gepeitschte Meeresfluten und Ozeane; klingende Bächlein mit launischen Forellen oder Flüsse wie Rhein, Main, Neckar, Themse, Seine oder Nil, die zur Kahn- und Schifffahrt, zum Imaginieren, Malen und Dichten einladen: Wasserflächen, elemente und -schauspiele sind für ein romantisches Verständnis von ‚LandschaftL konstitutiv.

Mit diesen Wasserlandschaften der europäischen Romantik/en - und allgemeiner: der Zeit um 1800 – lässt sich ein (proto-)ökologisches Verständnis von den Wechselwirkungen zwischen anorganischen und organischen Entitäten in lokal definierten Räumen in den Blick nehmen und artikulieren. In der Forschung sind diese Zusammenhänge bislang weitestgehend unberücksichtigt geblieben. Zwar haben die Environmental Humanities die Literatur, Philosophie, Kunst und Wissenschaft um 1800 als zentrale Stichwortgeber eines modernen Umweltbewusstseins und ökologischer Theoreme erkannt. Welche Rolle dem Wasser und damit verbundenen Lebensräumen und Existenzbedingungen zugesprochen werden kann, ist allerdings noch nicht geklärt worden. Das erscheint umso erstaunlicher, als die Diskussion und Imagina-tion zum Stellenwert des Wassers für das Leben und das Lebendige im Allgemeinen, für das Wechsel-, Wachstums- und Transformationsverhältnis von Organismen und Wasser(-Stoff) im Speziellen sowohl in den Naturwissenschaften (der Physik, Geologie und der Naturphilosophie) als auch in den Künsten und Wissenschaften um 1800 durchaus angeregt waren. Als entscheidend kann insbesondere die Erkenntnis gelten, dass sich Leben und Lebensformen im Wasser nicht nur verdichten, sondern gleichzeitig mediale Zugriffe notwendig sind, um diese Interdependenzen und Wechselbezüge überhaupt erst sichtbar zu machen – Andersens Märchen vom Wassertropfen (Dän.: Vanddraaben, 1847) unter dem Vergrößerungsglas führt dies besonders eindrücklich vor Augen.

Darüber hinaus verbinden Wasserlandschaften die in den Künsten ständig miteinander verwobenen Ebenen des Semiotischen und des Materiellen, des Klanglichen und des Laut(sprach)lichen, der literalen und metaphorischen Bedeutungen: In Landschaftsgedichten plätschern, sprudeln, quellen, fluten, fließen, rauschen und wallen nicht nur Wasserflächen und -werke, vielmehr laufen hier verschiedene durch das fluide Element getragene Seins- und Bewegungsweisen diverser Akteur:innen ineinander. Tiere, Pflanzen, Luft, Erde(n), Licht bilden ein durch das Wasser zusammengehaltenes und miteinander in Berührung kommendes Ensemble, dessen Aktivität und Vitalität, ebenso wie eine Vorstellung von Landschaft überhaupt, erst durch das Wasser möglich wird. Zugespitzt formuliert: In der Zeit um 1800 wer-den epistemologische und ästhetische Formationen entworfen, die an/erkennen, dass ohne Wasser keine Lebensformen und keine Landschaften denk- und darstellbar sind.

Die Tagung erkundet die ökologischen Dimensionen des Fluiden in der Zeit um 1800 ausgehend vom Begriff der ‚Wasser/Landschaften‘. In den Fokus geraten damit ganz unterschiedliche ‚Wasserstätten‘, die von regentragenden Wolken-Formationen über Wasserpfützen und Moorgebieten bis hin zu Flussläufen und Meeresräumen reichen und damit äußerst heterogene ästhetische Programme (u.a. das Erhabene oder den locus amoenus), Gattungen (Idyllen, Fluss- und Seefahrt-Balladen, Gartengedichte, Landschaftsprosa und Landschaftsmalerei-Diskurse, Naturessays usw.), Orte (national und international, phantastisch und realistisch usw.), Zeiten und Stofftraditionen (griechische und germanische Mythologie, Mittelalter) ins Spiel bringen. Grundthese der Tagungsinitiative ist dabei, dass romantische Literaturen und Bilder das Zusammenspiel von (Lebens-)Elementen und Lebewesen um/im Wasser inszenieren, reflektieren und verhandeln.

Organisation und Konzeption

Prof. Dr. Roland Borgards (GU Frankfurt)
Prof. Dr. Frederike Middelhoff (GU Frankfurt)
Prof. Dr. Barbara Thums (JGU Mainz)