Clemens Brentano und die Rheinromantik
Brentano-Kolloquien haben in Koblenz schon eine kleine Tradition, sie haben allerdings in unregelmäßiger Folge stattgefunden und wurden im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte von unterschiedlichen Personen mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen organisiert, daher sind viele nicht weiter dokumentiert. Das ertragreiche Kolloquium von 2019 trug den Titel „Fremde Heimat – Heimat in der Fremde. Clemens Brentano und das Heimatgefühl der Romantik“; die Tagungsbeiträge sind in einem von Helga Arend und Stefan Neuhaus herausgegebenen Sammelband erschienen.
Im vergangenen Jahr gab es nun zum Thema „Rheinromantik“ zunächst eine Ringvorlesung an der Universität Koblenz – in Zusammenarbeit mit Barbara Koelges vom Landesbibliothekszentrum (LBZ). Im Frühjahr 2024 wurde dann ein Call for Papers verschickt, der den Titel trug: „Die Entstehung der Rheinromantik: Brentano, Heine, Turner und die Folgen“. Das nächste Brentano-Kolloquium sollte das Thema der Ringvorlesung fortsetzen und variieren, auch mit dem Ziel, Beiträge für einen Band zu sammeln, der den schlichten Titel „Rheinromantik“ tragen wird. Wie schon der Vorgängerband wird auch dieser, und zwar im Sommer 2025, im Verlag Königshausen & Neumann erscheinen.
Das Schwerpunktthema „Rheinromantik“ verdankt sich der am Mittelrhein selbst bisher zu wenig erforschten Bedeutung der Literatur- und Kulturgeschichte des 2002 zum Welterbe der UNESCO gekürten Mittelrheintals, mit den bekannten Fixpunkten Drachenfels im Norden und Loreley oder auch Bingener Mäuseturm im Süden. Die eindrucksvolle Forschungsleistung der Universitäten Jena, Heidelberg oder auch Frankfurt am Main hat bisher an der allerdings im Vergleich sehr kleinen Universität Koblenz wenig Ergänzendes gefunden; insbesondere das Landesbibliothekszentrum Koblenz mit seinen in dieser Hinsicht reichen Sammlungen hat allerdings immer wieder versucht, dem abzuhelfen. Insofern verstehen sich Ringvorlesung und Kolloquium als Auftakt zu einer weitergehenden Beschäftigung mit der Romantik vor Ort, die über das Leben und Wirken des, in dem heute zu Koblenz gehörenden Ehrenbreitstein geborenen, Clemens Brentano hinausgeht.
Alle Vorträge der Ringvorlesung warfen genaue Blicke auf Situationen im Mittelrheintal, von den die Ästhetik der Bilder wie der literarischen Texte prägenden Lichtverhältnissen über die geographischen Bedingungen (etwa der Besonderheit nur hier vorkommender Pflanzen) bis hin zu politischen Fragen – der Zeit um 1800, als Achim von Arnim und Clemens Brentano den Rhein bereisten, oder auch der offiziellen Rheinreisen bei Staatsbesuchen in der Bonner Republik. Die Gastvortragenden waren: Prof. Dr. Michael Braun und Prof. Dr. Christof Hamann von der Universität zu Köln, Prof. Dr. Oliver Ruf und Andreas Sieß von der Universität Bonn, Prof. Dr. Jochen A. Bär von der Universität Vechta und Prof. Dr. Michael Hollmann, der Präsident des Bundesarchivs (mit Sitz in Koblenz).
Mit den Vorträgen des Brentano-Kolloquium vom November 2024, die in dem in Vorbereitung befindlichen Sammelband nachgelesen werden können, wurde insbesondere der Faden der Ringvorlesung aufgenommen, einzelne Protagonist*innen der Rheinromantik und ihre individuellen Beiträge zur kulturgeschichtlichen Bedeutung des Mittelrheintals vorzustellen, um zugleich besser zu verstehen, wie es zu der Aufwertung dieser Landschaft kommen konnte, und die Frage zu stellen, welche Schlüsse für die heutige Zeit daraus zu ziehen sind. Die eine moderne Identität stiftende Funktion der Landschaft steht in einer solchen Bilanz auf der einen Seite, die problematische Verengung im Rahmen nationalistischer Symbolik auf der anderen.
Hier die Reihe der gehaltenen Vorträge:
Prof. Dr. Susanne Enderwitz (Heidelberg): David Roberts: Ein Maler an Rhein und Nil
PD Dr. Andreas Keller (Potsdam): Johannes Weitzels Rheinreise (1825) als frühe Form der identitätsbildenden Rheinromantik
Dr. Betty Brux-Pinkwart (Eutin): Das Reisetagebuch der Eutiner Lehrerin und Schriftstellerin Wilhelmine Johannsen (1800–1881)
Davina Beck (Mainz): Der Mäuseturm von Bingen. Zur literarischen Rezeption einer Rheinsage im 19. Jahrhundert
Jan Hurta (Bamberg): Mark Twain und der Rhein
Clemens Fuhrbach (Köln): Vom Realismus des Rheins zur dialogischen Heimat – Clemens Brentano und die Rezeption der Romantik im Werk von Heinrich Böll
Klaus-Dieter Regenbrecht (Koblenz): Forster und von Humboldt, Tranchot und von Müffling: Rheinromantik und neue Raumerfahrung
Abendvortrag (im LBZ): Magdalene Ziegler (Bad Hönningen): Sagenhaft poetisch - Adelheid von Stolterfoth, eine Dichterin der Rheinromantik (1800-1875) (in Kooperation mit der Kaiser Ruprecht Bruderschaft zur Pflege des Andenkens an den Königsstuhl zu Rhens und deutscher Geschichte e.V.); Anschließend: Empfang mit Wein und Brot
Sebastian Milkereit (Wuppertal): Rheinromantik von der Elbe: Der Rhein in Ludwig Tiecks Dresdner Novellen
Dr. Nikolaus Gatter (Köln): „Jetzt wurzle ich meine eignen Lebenstage in diesen Boden“: Karl August Varnhagens Stelldichein im Rheintal mit Charlotte Williams Wynn
PD Dr. Urte Stobbe (Köln): Wie ein romantisches Lied entsteht: Heines Loreleigedicht im Verhältnis zu Brentanos Zu Bacharach am Rheine und Wilhelm Müllers Die schöne Müllerin
PD Dr. Peter Glasner (Bonn): „…auch kümmert uns hier nur das malerische und das romantische…“ Karl Simrock (1802-76) und die Rheinromantik
Von einigen Beschäftigten und Studierenden der Universität abgesehen waren rund 20 Interessierte aus Stadt und Landkreis gekommen, auch sie stellten Fragen und diskutierten mit den Vortragenden. Die Diskussionen waren überwiegend lebhaft, das Interesse an den verhandelten Texten und Themen überraschend groß. Abschließend kam man überein, einen Kreis von Interessierten zu bilden und sich in unregelmäßigen Abständen an wechselnden Orten zu treffen – 2025 auf der Marksburg.