„Das Modell Romantik in der Musik“
Wo endet die Klassik? Wo beginnt die Romantik? Und wie lässt sich Wolfgang Amadé Mozart im etablierten Epochengefüge verorten? Diesen Fragen näherte sich das diesjährige MozartLabor, unter anderem mit einer Sektion „Das Modell Romantik in der Musik“. Das MozartLabor versteht sich als Herzstück des jährlich stattfindenden Mozartfests Würzburg. In Podien, Lectures, Arbeitsgruppen und Konzerten setzten sich dabei Studierende künstlerisch-praktischer wie wissenschaftlicher Fächer mit einer übergreifenden Fragestellung auseinander: „Mozart, ein Romantiker?“ Von den insgesamt sechs angebotenen Sektionen – „Modell Romantik“, „NEUE STIMMEN“, „Musikjournalismus“, „Musikwissenschaft“, „Innovative Konzertformate“ und „Kammermusik“ – beschäftigten sich vor allem die Sektionen der „Kammermusik“, des „Modell Romantik“ und der „Musikwissenschaft“ mit der Frage, ob und wie der ‚Klassiker‘ Mozart schon in der historischen Romantik zu verorten sei; für die Arbeitsgruppe des „Modell Romantik“ waren diese Fragen gleichwohl nur Ausgangspunkte für eine breitere Auseinandersetzung mit dem Romantik-Begriff.
Ziel des viertägigen Workshops unter der Leitung von Prof. Dr. Christiane Wiesenfeldt war es, einerseits ein tieferes Verständnis für den theoretischen „Modell Romantik“-Begriff zu gewinnen und diesen andererseits auch praktisch auf (Kunst-)Lieder und Songs von 1800 bis heute anzuwenden. Zentrale Fragen waren dabei: Wie konstituiert sich die Romantik in der Geschichtsschreibung? Was macht sie aus? Wo und wie hinterlässt sie in jüngeren Epochen ihre Spuren? Zwar war das Rahmenprogramm des viertägigen MozartLabors mit einer Vielzahl an öffentlichen Konzerten und Podiumsdiskussionen versehen, doch die inhaltliche Kernarbeit der Stipendiat*innen fand in den sich täglich findenden Kleingruppen statt. Nachdem zunächst die vorzubereitende Literatur besprochen wurde, sollte jede*r Stipendiat*in im Laufe des Workshops ein Kunstlied bzw. einen Song detailliert im Hinblick auf romantische Kriterien analysieren. Aus E.T.A. Hoffmanns berühmter Rezension von Beethovens 5. Symphonie [1] sowie Christoph Reinfandts Überlegungen [2] zur romantischen Kommunikation im Singer-Songwriter-Genre ließen sich hilfreiche Kriterien ableiten, was Romantik überhaupt bedeuten kann. Als Stipendiatengruppe wollten wir einen möglichst breiten Zugang für unsere Untersuchungen wählen, und einerseits Stückbeispiele analysieren, deren romantisches Potenzial eher offenkundig wirkt und andererseits Werke betrachten, bei denen die Anwendung romantischer Kriterien zunächst schwierig erscheint. Am Schluss des Workshops stand ein öffentlicher Vortrag, in dem die Studierenden die erarbeiteten Ergebnisse präsentieren konnten.
Helen Weintritt stellte dort Mozarts Ariette Dans un bois solitaire KV 308 nach einem erzählenden Text von Houdart de la Motte vor. Die Ariette besteht aus fünf durchkomponierten Strophen und wurde im Winter 1777/78 zeitgleich mit Oiseaux, si tous les ans auf Anfrage von Mozart komponiert. Im Zentrum der Komposition und Dichtung steht Amor, der römische Cupidon, Personifizierung der Liebe und des Sich-Verliebens. Der erzählende Text benutzt Bilder der Mythologie und hat einen dramatischen Textaufbau, in dem die Funktionen der Personen klar definiert sind. Die Komposition weist jedoch erste Distanzen zum klassischen Liedrepertoire auf: Diese bestehen aus der Aufwertung des Klaviers zum Kommentator, den verschiedenen formalen Brüchen und Kippfiguren ab der dritten Strophe sowie dem Kontrast der dramatischen Textdichtung und der lyrisch abschließenden Melodieführung und Begleitung in einer ABA-Form.
Roman Lüttin setzte sich während des Workshops mit dem Song Romeo und Juliet von den Dire Straits auseinander und konnte im 1980 entstandenen Song eine Vielzahl romantischer Topoi nachweisen. Neben der musikalisch zyklischen Anlage des Songs und dem reflexiven Gitarrensolo am Ende – ähnlich einem Klaviernachspiel im romantischen Kunstlied, bei dem die Musik ‚das letzte Wort‘ hat – konnten vor allem im Songtext Bezüge zur Epoche der historischen Romantik nachgewiesen werden: Eine intensive Shakespeare-Rezeption, die Verwendung von diversen Traum- und Schicksalsmotiven, der Topos ‚Kunst über Kunst‘ und das andauernde Oszillieren zwischen Diesseitigem und Jenseitigem sowie eine daraus resultierende Sehnsuchtsspirale machen den Song zu einem Musterbeispiel für das „Modell Romantik“.
Susanne Göttlich setzte sich mit Max Regers Lied Mein Traum aus dem Jahr 1899 auseinander, einer Vertonung des gleichnamigen Gedichts von einer Zeitgenossin Regers, Anna Ritter. Romantische Elemente sind hier sowohl in der Textvorlage als auch in der Musik vorhanden. Dabei handelt es sich beispielsweise um ein klar romantisches Naturbild, das am Beginn textlich, aber auch musikalisch evoziert wird sowie den Traum, der im Mittelpunkt des Gedichtes steht und der für das lyrische Ich einen unendlichen Raum und Sehnsuchtsort darstellt. Ambivalente Paare wie Realität und Traum, berauschende und stille Träume oder Freude und Trauer werden auch von Max Reger musikalisch-romantisch ausgedeutet und reflektiert.
Der im Jahr 2016 veröffentlichte Schlager Heimat von den Kastelruther Spatzen war Untersuchungsgegenstand von Marina Schwarz, denn auch das Thema „Heimat“ gehört zur Romantik, doch verstand sich dieser Begriff in der Epoche der Romantik zunächst nicht als ausgrenzend und nationalistisch, sondern eher als idealer Sehnsuchtsort. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch der aktuelle Heimatschlager, der mit diesem oftmals instrumentalisierten Begriff spielt. In dem Video der Kastelruther Spatzen wird die reale Heimat der Gruppe gezeigt, doch textlich geht es etwas abstrakter um das Sehnen, um das Ankommen. „Es braucht jeder Mensch auf Erden / einen Platz zum glücklich werden / Heimat – Ich geh nie wieder fort“, singen die Spatzen und besingen damit typisch romantische Topoi, die vom Heimatschlager in einer pandeutschen, meist alpinen Erlebniswelt plakativ dargestellt werden.
Amy Kühnlenz untersuchte Das Lied der Trennung KV 519 von Mozart aus dem Jahre 1787. Textgrundlage war ein Gedicht des Poeten Klamer Eberhard Karl Schmidt, ein Zeitgenosse Mozarts. Später als ‚romantisch‘ bezeichnete Topoi wie Liebes- oder Todessehnsucht des lyrischen Ichs, die u. a. eine Frage bergen, die bis zuletzt sowohl musikalisch als auch inhaltlich unbeantwortet bleibt, werden aufgegriffen und lassen eine proto-romantische Deutung zu. Eine Gegensätzlichkeit des musikalischen Vortrags zwischen sanglichem und rezitativischem Charakter durchzieht das Stück. Die teilweise vorhandene Aufwertung des Klavierparts von einer reinen Begleitung hin zur Eigenständigkeit mit Kommentarfunktion sowie die musikalisch-bildlich ausdeutende Darstellung des Textes weisen ebenfalls annähernd romantische Züge auf, wenn auch in abgeschwächter Form.
Der Workshop bot vielfältige Einblicke in die Möglichkeiten, Perspektiven und auch Grenzen des „Modell Romantik“. Es bleibt zu hoffen, dass die Fragen des MozartLabors auch Eingang in die zukünftige wissenschaftliche wie praktische Auseinandersetzung mit Mozart und darüber hinaus finden werden.
Anmerkungen
[1] Ernst Theodor Amadeus Hoffmann: [Rezension der 5. Symphonie von Ludwig van Beethoven], in: Allgemeine musikalische Zeitung 12 (1810), Nr. 40, Sp. 630–642 und Nr. 41, Sp. 652–659.
[2] Christoph Reinfandt: „Romantik heute. Das ‚Singer/Songwriter‘-Paradigma“, in: Ders., Romantische Kommunikation. Zur Kontinuität der Romantik in der Kultur der Moderne, Heidelberg 2003, S. 325–364.