Sandra Kerschbaumer , 17.09.2024

Ironie | Post-Ironie in der Gegenwart

Teil II

In der Monographie Die Krise des Absoluten (2022) stellt Daniel-Pascal Zorn verschiedene Spielarten der Postmoderne in die Tradition der „bildenden Philosophie“. Darunter versteht er eine philosophische Tradition, die er durch die Rücknahme verabsolutierenden Systemdenkens charakterisiert sieht. [1] Wenig überraschend behandelt er unter diesem Signum die großen Denker der Dekonstruktion und zitiert Jean-François Lyotard:

„Das postmoderne Wissen verlässt den Anspruch auf Vollständigkeit, der die großen Erzählungen charakterisiert hat. Es widmet sich, skeptisch und aufs Konkrete versessen, den Problemen vor die es die Systeme stellen, in denen es selbst lebt. Es verfeinert unsere Sensibilität für die Unterschiede und verstärkt unsere Fähigkeit, das Inkommensurable, das zusammen Auftretende, aber nicht zusammen Passende, ‚zu ertragen‘. Die Unfähigkeit, es zu ertragen führt uns immer wieder zurück zu den großen Erzählungen, zum Absoluten‘.“ [2]

Zur Nebenlinie der Philosophie des 20. Jahrhunderts gehören für Zorn neben den Theoretikern der Dekonstruktion die Ritter-Schule in Deutschland sowie die Kybernetik und der amerikanische Neo-Pragmatismus. Selbstverständlich wird Richard Rortys Contingency, Ironie, and Solidarity (1989) exemplarisch für den letzteren von Zorn herangezogen. Denn nach Rorty benötigen wir zwar ein abschließendes Vokabular zur Rechtfertigung unseres Lebens und Handelns. Die von ihm entworfene „liberale Ironikerin“ zieht dieses abschließende Vokabular allerdings unaufhörlich in Zweifel, da sie weiß, dass dieses Vokabular sich im Laufe ihres Lebens verändert hat und immer wieder verändern wird. Ihr Kontingenzbewusstsein sagt ihr, das kein Vokabular der Realität näher ist als ein anderes, keines aus einer höheren Notwendigkeit und Bestimmung hervorgeht.

„I use ‚ironist‘ to name the sort of person, who faces up to the contingency of his or her own most central beliefs and desires – someone sufficiently historicist and nominalist to have abandoned the idea that those central beliefs and desires refer back to something beyond the reach of time and chance.“ [3]

Einen überlegenen Standpunkt gebe es – so erläutert Zorn – in einer polyzentrischen Gesellschaft nicht mehr. Dieser weiche in den postmodernen Kulturen einer „‚Pragmatik der Sprachspiele‘, eine[r] Vielfalt des Sprechens, die sich nicht mehr auf den setzenden Charakter einer Ursprungserzählung verlässt.“ [4] Doch mit dieser Einsicht endet das Ringen zwischen Wahrheitspostulaten und ihrer Relativierung nicht: Das zeigt die Auseinandersetzung mit der Ironie, die bis in die Gegenwart anhält.
 
Richard Rorty und die bildende Philosophie

Bereits in Philosophy and the Mirror of Natur (1979) hatte Richard Rorty die analytische Philosophie einer grundsätzlichen Kritik unterzogen und ihr die Fähigkeit abgesprochen, ein unerschütterliches Fundament des Denkens zu errichten, ein zeitloses Wissen freizulegen. Rorty erklärte es zur Illusion anzunehmen, wir könnten nicht-zirkuläre Begründungen unseres Wissens finden und zu einer Ebene hinter den Erscheinungen und damit zur ‚eigentlichen‘ Wirklichkeit vordringen. Hatten schon die Aufklärer (und insbesondere Kant) menschliches Handeln von der Bindung an eine höhere Macht gelöst, so gelte es nun, sich auch von gegenwärtigen Autoritäten zu lösen und sich erkenntnistheoretisch darauf einzulassen, dass es ein Ding an sich und damit eine objektive Realität für uns nicht gebe. [5] Diese Desillusionierung lässt die Philosophie zu einer Stimme im unabgeschlossenen Gespräch der Menschheit werden und so entfaltet Rorty ein essayistisches Werk, in dem Ästhetisierung und Literarisierung ein antisystematisch-offenes Denken erkennen lassen und damit auch formal vermitteln, dass zentrale Überzeugungen kontingent sind. Rortys Ironie-Entwurf knüpft an Debatten an, die ins 19. Jahrhundert zurückgehen: über Wittgenstein und Nietzsche [6] zu Kierkegaard und den Romantikern:

„Imagination, the idea of (radical) novelty, the idea of poetic genius, and the idea of contingency in our (final) vocabularies – in Rorty’s account, these characteristics of Romanticism are crucial if one wants to tell a story of the origin and the destiny of our modern age.“ [7]

Eine Entsprechung zur Romantik findet sich in der Suche nach einem abschließenden Vokabular, dem sich immer Alternativen anbieten, sodass es zu keiner Fixierung kommen kann. Deutlich wird aber auch ein Rekurs auf Friedrich Schlegels „Selbstschöpfung“, denn ironische Subjekte charakterisiert er so: „never quite able to take themselves seriously because always aware that the terms in which they describe themselves are subjects to change, always aware of the contingency and fragility of their final vocabularies, and thus of their selves. [8] Auch für Rorty gibt es kein festes und unverbrüchliches inneres Selbst. Das moderne Subjekt schafft sich ein Netz von Glaubenssätzen und Wünschen, von denen keiner der Realität näher als ein anderer ist. Solch ein bewegliches Subjekt kann keine Fundamentalphilosophie begründen, aber immer neue Vokabulare, Selbsterschaffungen und Lösungswege finden. Wie schon die Romantiker wertet Rorty in diesem Zusammenhang die Einbildungskraft auf. Sie hilft dem Subjekt beim freien und kreativen Selbstentwurf, und als entscheidende Kraft einer poetischen Kultur kann sie neue Wege des Denkens in den diskursiven Raum stellen – in dem dann diskutiert wird, welche der Varianten, Welt zu beschreiben, weiterhelfen.

Interessanterweise hat Rorty seine antimetaphysische, erkenntnisskeptische Haltung mit einer ethischen verbunden, die dem Pragmatisten William James folgt. Es geht Rorty nicht nur um die Ironikerin, sondern um die liberale Ironikerin, und das ist für ihn eine Person, die an der Hoffnung festhält, dass Grausamkeit zu verhindern und Solidarität mit anderen möglich sei. [9] Pragmatisten relativieren zwar alle ontologischen Kategorien, die vormals für die Bestimmung von Moral zuständig waren. Aber sie versuchen sich an der Begründung einer praktischen Sozialität, die nicht auf außersoziale Autoritäten verweist und die – so beschreibt es Robert B. Brandom in seinem Band Rorty and his Critics – mit Argumenten angezweifelt wird, die bereits eine lange Tradition haben:

„We should learn to understand cognitive assessments in terms of relations among humans, without needing to appeal to any sort of authority apart from that manifested in social practices. From this point of view, the howls of outrage that his claim tends to elicit – the accusation of inviting cognitive irresponsibility, severing our connections to the word, undercutting the distinction between true claims and merely fashionable ones, and so on – are to be compared to the pious during the first round of Enlightenment.“ [10]

Sie sind langlebig, die Vorwürfe von Verantwortungslosigkeit, Realitätsverlust und Willkür. Wieder geht es um die Frage, wie ein relativer Wahrheitsbegriff zu stabilisieren sei: im Hinblick auf das Subjekt und im Hinblick auf seine moralisch-politische Handlungsfähigkeit. Die Fragen sind die alten: Auf welcher Basis lässt sich entscheiden, was eigentlich gut und wünschenswert ist, wenn alle Setzungen einen prekären Status haben? [11] Wenn wir die Welt als eine nicht von objektiven Wahrheiten begründete verstehen oder das philosophische Vermögen einschränken, diese zu erkennen, wie vermeiden wir dann Relativismus und Verantwortungslosigkeit? Richard J. Bernstein hat in seinem Buch Ironic Life (2016) eine Bestandsaufnahme zur philosophischen Auseinandersetzung der jüngeren Vergangenheit mit der Ironie vorgelegt und neben Gregory Vlastos und Alexander Nehamas vor allem die zentralen Positionen von Jonathan Lear und Richard Rorty dargelegt. [12] Bernstein hebt im Hinblick auf Rorty hervor, dass dieser zwar wisse, dass es kein der Kontingenz enthobenes abschließendes Vokabular gebe, das vertikal zu beglaubigen sei, dass diese Einsicht ihn aber nicht daran hindere, nach einer horizontalen Plausibilisierung ethischer Annahmen zu suchen. In der je konkreten historischen Situation ließe sich über Handlungsoptionen nachdenken und im alltäglich gelebten Leben lassen sich partielle Sinnangebote mit Gründen verteidigen, um tragfähige Formen des gemeinschaftlichen Lebens zu entwickeln. [13] Die liberale Demokratie bietet für Rorty und für Bernstein hierfür den besten, weil anpassungsfähigsten Rahmen.

Diese Position markiert einen fundamentalen Unterschied zur historischen Romantik und ihren Ironie-Reflexionen, die zwar signalisieren, dass unser Denken grundsätzlichen Begrenzungen unterliegt, die diese Erfahrung aber weiterhin auf einen übergeordneten, sich der Erkenntnis entziehenden Sinn bezogen wissen wollen. Eine nur horizontale Sinnsicherung genüge nicht – die verbleibende Sehnsucht richte sich auch auf die vertikale Dimension. [14]

„They made their readers glimpse the fascinating and exciting new possibilities of a de-divinized culture, but they continued to be captured by metaphysics insofar as they still need the certainty, reliability, immutability, purity, and solidity of what was more than another human creation. This also signifies that the Romantics were not yet capable of grasping the full implications of the idea that truth is made, not found. In other words, the texts of the Romantics offer the possibility of conceptually grasping the tension between metaphysical need and postmetaphysical desire.“ [15]

Ebenso gut könnte man von „postmetaphysical need“ und „metaphysical desire“ sprechen – entscheidend ist die Einsicht, dass sich die Romantik bei allem in der Ironie kulminierenden Anti-Essentialismus, Anti-Repräsentationalismus und ihrer Aufwertung menschlicher Einbildungs- und Setzungskraft nie ganz von einem metaphysischen Bedürfnis löst. Gerade in diesem Spannungsfeld mag die Wirkungsmacht liegen, die sich mit der Romantik und auch mit der romantischen Ironie entfaltet: Allein sie lässt offen, ob Wahrheit gemacht oder gefunden wird, ob ein Ich sich willkürlich setzt oder doch auf dem Weg zu einem „besseren Selbst“ im Sinne von Novalis ist. [16] Rorty dagegen „deromanticize(s) Romanticism“. [17]

Damit wählt er eine noch konsequentere Form der Freisetzung des Individuums – und braucht deshalb auch einen stärkeren Nihilismus-Stopper. Denn, so betont auch Bernstein, Ironie führe zu Einsichten und Relativierungskaskaden, die im Nihilismus enden könnten. Die Frage sei, ob die von Kierkegaard konstatierte „unendliche Negativität“ aufgefangen werden könne oder sich perpetuiere. Der Neo-Pragmatismus Richard Rortys unterbricht die Kette der ironischen Relativierungen mit der ethischen Setzung von Solidarität. [18] Rorty versucht, die Subversion auf den Bereich von Kunst und Privatheit zu konzentrieren und die politische Sphäre davon freizuhalten: „Ironische Theoretiker […] scheinen mir von unschätzbarem Wert für unsere Versuche, uns ein privates Selbstbild zu machen, aber reichlich nutzlos, wenn es um Politik geht.“ [19] Die Ironikerin hat gelernt, mit Kontingenzen zu leben. Ihre Selbstentwürfe tragen zur Bildung neuer Perspektiven, zur Schaffung einer auf die Zukunft gerichteten poetisierten, sich immer weiter mit Optionen, Alternativen und Neubeschreibungen anreichernden Kultur bei und wirken damit indirekt auf eine öffentliche Sphäre, die sich auf Problemlösungen und die Überwindung von Ungerechtigkeiten konzentrieren soll. [20] Der Wertmaßstab der Pluralität und Solidarität allerdings ist normativ aus keinem Grund ableitbar. [21]

Rortys Werk ist ein Exempel für die Rolle der Ironie in der ‚condition postmoderne‘ – ein besonders gutes Beispiel, da sein Neo-Pragmatismus ihn an die Scheidepunkte führt, die in der Auseinandersetzung mit der Ironie regelmäßig auftauchen. Rortys Repräsentativität sowie seine Nähe und Differenz zu anderen Theoretikern der Postmoderne schildert Christopher Butler in einem Überblick zum Thema Postmoderne. Für ihn besteht eine Kongruenz zu Lyotards Annahme, wir lebten in einer Zeit nach den großen Erzählungen, Wahrheit sei durch differierende Standorte, die Kämpfe konkurrierender Sprachspiele bedingt. Wenn bei Foucault und Derrida das Subjekt allerdings zu einem reinen Objekt von Machtregimen wird, trägt Rorty dies nicht mit. Die damit einhergehende Auflösung von personaler Autonomie, von individueller Handlungs- und Entwicklungsfähigkeit geht ihm zu weit. Ein Mensch ist zwar auch für ihn widersprüchlich und in dauernder Konstruktion begriffen. Aber dort, wo eine vollständige Auflösung des Subjekts droht, bringt er pragmatische Setzungen ins Spiel. Butler bestimmt Rortys Philosophie deshalb als den Punkt, an dem postmoderner Relativismus und liberaler Universalismus aufeinandertreffen. [22]

Daniel-Pascal Zorn sieht die gemeinsame Linie von Neopragmatismus und Dekonstruktion in beider Zugehörigkeit zu einer ‚bildenden Philosophie‘, die für ihn Ausdruck einer Krise des Absoluten ist. [23] Der postmoderne Rekurs auf die Frühromantik ist ein Hinweis darauf, dass ein Nachdenken über die Grenzen des Absoluten schon immer Teil der Moderne war. Zu verschiedenen Zeiten tritt die ‚bildende Philosophie‘ allerdings verschieden stark hervor: Dabei markiert die Frühromantik eine Hochphase, die postmodernen Philosophien und Künste ebenfalls. [24] Trotz der dargelegten Differenzen verhandeln sie ihre Erkenntnisskepsis gleichermaßen mit Hilfe der Ironie – und damit verbunden den Status von Wahrheit und Wirklichkeit, die Macht der Sprache und des Subjekts.

Pop und Postironie

In der postmodernen Ästhetik spielt der Begriff der Ironie eine herausgehobene Rolle. [25] Korrespondiert er doch mit dem Hierarchie-Verzicht zwischen ‚high‘ and ‚popular culture‘, mit der Aufgabe eines Sinnzentrums und der Anerkennung einer fragmentierten Wirklichkeit. Er passt zu Subversion, zur (Selbst-)Distanzierung und Dekonstruktion von Subjekten und Texten, zur einem Sprachverständnis, das Signifikanten frei flottieren sieht. [26] Felix Haase hat hervorgehoben, dass es dennoch einen signifikanten Unterschied zur Romantik gibt – es ist der schon aus der Auseinandersetzung mit Richard Rorty bekannte: Im Gegensatz zu ihrer postmodernen Variante halte die romantische Ironie an transzendenten Hoffnungen fest: „Romantic Irony was a desire for language to transcendent itself, to ‚allow‘ for a truth that exceeded human experiance. This hope for transcendence was the reason why Romantics valued art above all else, and this is the main difference between Romantic and Postmodern Irony.“ [27] Wie stabil – so soll im Folgenden gefragt werden – ist diese Differenz?

Der allgemeine, aus Frankreich und den USA stammende Postmoderne-Diskurs findet eine Konkretisierung in der auch in Deutschland bis in die Gegenwart geführten Debatte um die Pop-Literatur, die schon Leslie Fiedler als eine Spielart der Postmoderne bestimmte. [28] Am Beispiel der Pop-Literatur lassen sich einmal mehr die Reibungen zwischen einem sich immer weiter dezentrierenden Subjekt und der Suche nach übergeordneten Geltungsansprüchen nachzeichnen. Mitte der 1960er Jahre sehen Experten die Popliteratur hierzulande mit Rolf Dieter Brinkman einsetzen, einem Autor, der sich vom etablierten Modernismus absetzte und stattdessen eine Literatur hervorbrachte, die „etwas von der grellen Farbigkeit moderner Plakatkunst“ hat. [29] Zu bestaunen gab es einen überzeichneten Realismus, eine zitathafte Verarbeitung von Umgangssprache und Alltaggegenständen. Die Literatur öffnete sich für Motive und Verfahren des Comic, der Mode und der Werbung, von Pop-Art und Pop-Musik. Forcierte Oberflächenbeschreibungen traten den Kunstanstrengungen des traditionellen Modernismus entgegen. [30]

Anfang der 1980er lebte ‚Pop‘ im Musik-Journalismus und in der Literatur erneut auf – vornehmlich durch Rainald Goetz (Subito, 1983), der dann auch dabei ist, als die Pop-Literatur in den 1990er Jahren endgültig reüssiert und von Suhrkamp und Kiepenheuer & Witsch verlegt wird. „Wir waren Frühromantiker,“ resümiert Goetz in einer Vorlesung und bestätigt mit dieser Selbstbeschreibung die von Kritik und Literaturwissenschaft gezogene historische Linie, wurde sein Kunst und Leben verbindendes Werk doch mit progressiver Universalpoesie und romantischer Ironie verknüpft. [31] Christian Kracht habe damals, so fährt Goetz fort, „alle relevanten Schreiber aus der Popecke um sich versammelt“ und diese Gruppe „quasi im Schwung der aktuellen Stimmung die Romantikerbewegung des ausgehenden, fin-de-siècle-haft hysterisch aufgedrehten 20. Jahrhunderts aus dem Berliner Boden“ gestampft. [32] „Schlegel“ spannte „dem Eichendorff die vierte Frau oder den ersten Heine aus, Wackenroder hatte mit Nietzsche eine Sonderstellung ausprobiert, Hoffmann Lottmann eingespannt, Nietzsche Thomas Mann zerstört etc., und es wurde schwierig“. [33] Auch im Hinblick auf das Werk des als paradigmatisch popliterarisch geltenden Christian Kracht spielt die Zuschreibung der Ironie eine wesentliche Rolle. Sie entzündete sich bereits an seinem Debütroman Faserland und begründet eine politische Kontroverse um seinen späteren Roman Imperium. Kracht steht im Zentrum der Pop-Literatur-Debatten, die bereits mit dem Band Tristesse Royale (1999) auch eine interne Ironie-Kritik aufweisen. Diese Transkription einer Gesprächsrunde von Pop-Autoren im Berliner Hotel Adlon verzeichnet die Klage über eine „komplette Ironisierung der Gesellschaft“. [34] Das Gespräch kündigt das Ende der Ironie in mehreren Anläufen an, kann es aber aufgrund der Textperformanz nicht erreichen. [35] Stattdessen verbleibt man in der „Verweishölle des Pop“, in der jede Sache und Äußerung relativ ist, da sie immer Alternativen und Äquivalente kennt:

„Diese bewusst ausgestellte Relativität aller Setzungen, gerade auch dort, wo diese mit entschiedenem Distinktionsgestus vorgenommen werden, erzeugt einmal mehr die modalen Anführungszeichen, in denen Pop-Texte auf jeder Ebene zu lesen sind. Pop spricht keine ersten Worte. Im traditionellen literaturwissenschaftlichen Horizont wurde dieser Modus zuerst nur als Unernst oder dann als Ironie gelesen, tatsächlich kann das Problem eines paradigmatischen Relativismus aber auch durchaus seriös als Problem eines postmodernen Pop-Bewusstseins verstanden werden, wie es z. B. in Tristesse Royale verhandelt wird. In der unhintergehbaren Relativität aller positiven Setzungen lässt sich sowohl eine Entsprechung zur poststrukturalistischen Theorie als auch eine Entsprechung zur Warenform sehen.“ [36]

Das Spiel mit Zitaten, mit Filmvorbildern, das Sprechen in Slogans aus Werbeclips und Songtexten zeigt: Nichts ist echt. [37] Auch „Identität wird als Chimäre vorgeführt, als Ergebnis von Übernahmen, Kopien, Aneignungspraktiken,“ heißt es im Handbuch Literatur und Pop. Selbst das Subjekt besitzt also keine Substanz, sondern wird ein freier, veränderlicher Entwurf – Friedrich Schlegel hatte von einer „ununterbrochenen Kette innerer Revolutionen“ gesprochen. [38] Da aber die Kontingenz und die Selbstschöpfung ihre dunkle, hoffmanneske Seite haben, da unter der inszenierten Oberfläche die seit der Romantik beschworenen Gefahren der Leere, des Solipsismus und nicht zuletzt des Nihilismus lauern, ist das romantisch schillernde Ich auch im Werk von Pop-Autoren wie Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre bereits ein Abgründiges. [39]

Ebenso hatte es Wendungen von Ironikern gegen sich selbst bereits im anglo-amerikanischen Kulturraum gegeben: In seinem Essay E Unibus Pluram sprach sich David Foster Wallace dafür aus, den von ihm zuvor verkörperten ironischen Zeitgeist zu überwinden, da dieser sein disruptives Potential verloren habe. [40] Stattdessen diene Ironie nun der Abwehr von Kritik, von Verletzlichkeit und tieferen Gefühlen. Jedediah  Purdy pflichtete ihm in For Common Things: Irony, Trust, and Commitment in America Today bei und plädierte für eine Repolitisierung der Öffentlichkeit, die verantwortungslosen Quietismus und ironische Indifferenz durch moralische Integrität und soziales Handeln ersetzen solle. [41] Der Gestus der Ironie-Ablehnung erinnert an Hegels Forderung nach „wahrhaftem Ernst“ und „substantiellen Interessen“. [42] Wie schon in seiner Ästhetik wird die Sorge um die Brüchigkeit eines sich selbst setzenden Ich ebenso formuliert wie die um dessen mangelnde Verantwortung für das Gemeinwesen. Es ist erstaunlich, wie konsequent die lang bekannten Topoi wiederkehren.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ändert sich das Klima der Debatte. Die Dringlichkeit, mit der ein neuer Ernst gefordert wird, nimmt zu. Rufe nach einem Ende der Spaßgesellschaft werden laut. Roger Rosenblatt kündigte in der New York Times an: The Age of Irony Comes To An End. [43] Eckhard Schumacher wertet dies – in einem instruktiven Aufsatz und in Übereinstimmung mit Stimmen des damaligen Diskurses – als Bestätigung von Forderungen, die bereits länger erhoben wurden: [44] „Die Ironiehölle hat ja schon lange genervt. Ich habe immer gesagt: Wir kommen da nur mit einer Rezession oder einen Krieg raus. Jetzt haben wir beides,“ zitiert er einen zynischen Kommentator. Schumacher formuliert Zweifel an der Möglichkeit, eine ironische Erkenntnissituation durch Sprechakte und Willensbekundungen einfach zu beenden. Schon Schlegel habe in Über die Unverständlichkeit die Vorstellung in Frage gestellt, man könne Ironie gezielt ausschalten und durch ihr vermeintliches Gegenteil ersetzen. [45] Des Weiteren stellt Schumacher Zweifel heraus, wie wünschenswert ein neuer Ernst sei: Formuliert werden sie vom Dichter Durs Grünbein und vom Journalisten Jens Bisky, der eine Parallele der Invektiven gegen die Ironie um 2000 mit dem vor 1914 kultivierten Ennui zieht, aus dem heraus das einschneidende Ereignis, der entscheidende Ernst begrüßt wurde. [46] Auch die Teilnehmer der Gesprächsrunde im Hotel Adlon hatten eine solche Parallele angedeutet, als sie damit kokettierten, dass sie einer Langeweile erlägen, aus der sie nur eine „Art Somme-Offensive“ retten könne. Zur Sprache kommen hier grundsätzliche Gefahren der forcierten Überwindung eines relativen zugunsten eines absoluten Wahrheitsanspruchs. Ist dieser Anspruch doch eine Voraussetzung für Terror und Krieg. In Tristesse Royal bleibt die inszenierte Suche nach Authentizität und die Verabschiedung der Ironie dann auch mit einer Ironisierung eben dieses Versuchs verbunden. [47] Damit bleibt ein Hinweis erhalten auf die Unerreichbarkeit einer stabilen Wahrheit, auf die Setzungsmacht des Ich und eine Sprache, die ihre Mitteilungsgrenzen kennt.

Auf der Suche nach einer anti-ironischen Haltung entstehen zwei neue Begriffe: „Postironie“ und „New Sincerity“ – auch sie zunächst in den USA. Während Ironiker sich um nichts scherten, gehe es jetzt darum, sich wieder mit sich selbst und der Welt zu verbinden: „All across the pop-cultural spectrum, the emphasis on sincerity and authenticity that has arisen has made it un-ironically cool to care about spirituality, family, neighbors, the environment, and the country“. [48] Wie die „Neue Aufrichtigkeit“ verlangt auch die „Post-Ironie“ eine Rückkehr zu Wirklichkeit und Werten. [49] Das Schweizer Künstlerkollekiv „Com&Com“ hat ein entsprechendes post-ironisches Manifest verfasst. [50] Johannes M. Hedinger, einer der Autoren, erläutert über das Manifest hinaus:

„Nachdem die Ironie einen letzten Höhepunkt als spöttisches Schwert der Postmoderne erlebte, steht eine ironische Haltung heute eher dafür, Wahrheiten zu verschleiern, Problemen aus dem Weg zu gehen […] Ironie verkommt mehr und mehr zu einer Art Haftungsausschluss oder Fluchtmanöver angesichts jeder denkbaren Verantwortung. Viele Menschen wollen heute (wieder) ungebrochen, direkt und positiv bejahend durchs Leben gehen, die Dinge sehen, wie sie sind, Nähe und Emotionalität zulassend Wahrheiten suchen und Verantwortung übernehmen.“ [51]

Die Tradition der Ironie-Kritik gerinnt hier zum Klischee: die dekadente Müdigkeit und Distanz zur Welt, der Mangel an fester Wahrheit, die Flucht vor sozialer Verantwortung, die seit Kierkegaard beschworene unendliche Negativität der Ironie. Es scheint Hedinger nur eine Frage des Willens zu sein, sich aus modernen Erkenntnisbedingungen zu lösen, fortan ungebrochen auf die Realität zu blicken, wieder tief zu fühlen und zu erkennen und in Konsequenz daraus Verantwortung für das Richtige zu übernehmen. Sebastian Plönges bezieht sich auf Hedinger und erweitert dessen Haltung zu einem komplexeren Verständnis von Post-Ironie:

„Der Ironiker de-präzisiert, er manipuliert, er führt Kontingenzen, Rauschen und Unschärfe ein, wo der Aufklärer ehedem um Eindeutigkeit, rauschfreie Klarheit und Widerspruchsfreiheit bemüht war […]. Im Entweder und Oder von Ja, Nein und Ja und Nein entscheidet sich der Postironiker für das Ja (beziehungsweise die Authentizität, das Ungebrochene, die Schönheit und den Zauber). Er setzt alles auf eine Seite […], er markiert seinen Präferenzwert, und das alles ist ihm nicht peinlich: Er trifft eine Unterscheidung und übernimmt die Verantwortung dafür - er deklariert sie geradezu. In regenbogenfarbener Manifestform sogar - und hofft so, Erwartungen zu stabilisieren. Die Errungenschaften ironischer Kommunikation werden nicht aufgegeben – das wäre ein fataler Schritt und insofern ist die Rede von einem ‚Revival der Echtheit‘ nur das objektivistische Pendant zur oben skizzierten Trivialform der Ironie: Es geht nicht zurück in die Höhle oder in ein prä-ironisches Paradies, naiver Realismus ist keine Option. Die großen Erzählungen können einstweilen bleiben, wo sie sind […]. In der hier vorgeschlagenen Lesart ist das Aushalten - nicht Ausschalten! - von Kontingenzen die Stärke des Postironikers, der somit eine freie und produktive Option zur Entfaltung der Ironie-Paradoxie anbietet.“ [52]

In dieser Fassung des Begriffs geht es nicht um die einfache Überwindung einer einfach verstandenen Ironie, sondern um die Annahme einer modernen Aporie: Die Fragmentierung von Selbst- und Welterkenntnis, deren Kontingenz werden als Voraussetzung akzeptiert, und unter dieser Bedingung werden Entscheidungen getroffen, an denen so festgehalten wird, dass sich ein Gegengewicht zum absoluten Relativismus ergibt. Die viel beschworene Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit werden zum Teil einer Paradoxie. Diese besteht darin, dass sich das Subjekt – wie Hegel es formulierte – im „Selbstgenuß nicht befriedigt findet“, es daher einen „Durst nach Festem und Substantiellem, nach bestimmten und wesentlichen Interessen“ entwickelt  – und zugleich weiß, dass es diesen Durst nicht endgültig stillen kann. [53]

Where are we now?

Der Gegensatz von Ironie und Ernst ist auch in der fortgeschrittenen Moderne sichtbar – und hebt sich immer wieder auf: Die komplexe Postironie-Definition ist der romantischen Ironie nahe. Damit ist die Annahme, spätestens die Postmoderne verabschiede die Sehnsucht nach einem Eigentlichen, einem Sinnzentrum, nicht allgemein haltbar. Denn diese Sehnsucht artikuliert sich noch immer an verschiedenen Stellen. Geht es überhaupt ohne einen Hang zum Ganzen? Kann es nur darum gehen, diesen immer wieder ironisch einzuhegen? Selbst der Konstruktivist Rorty spricht von „letzten Vokabularen“ – an denen wir festhalten dürfen, solange wir nur um ihre Veränderbarkeit und Veränderlichkeit wissen. Selbst die späten Poststrukturalisten suchen nach neuen Formen des wahren Sprechens. [54] Können sich Kontingenzbewusstsein und Ausrichtung an nicht permanent in Frage gestellten Annahmen ausbalancieren? War die Romantik nicht gerade dafür angetreten offenzulassen, ob etwas ontologisch gegeben oder subjektiv gemacht sei? Liegt die anhaltende Wirkungsmacht zum Beispiel des Konzepts der romantischen Liebe nicht gerade in ihrem schillernden Charakter zwischen Eigenwilligkeit und Gegebenheit? Und bietet nicht allein die Ironie eine Formulierungsweise, die das Verhältnis der Relata zueinander offenlässt: „What is said both is and isn’t what is meant“. [55]

Friedrich Schlegel stellt die Ironie dem Ernst nicht gegenüber, sondern in der Ironie soll alles Ernst und Scherz sein. „Der Begriff der Ironie wird vielmehr gegen eine vermittelnde, identitätsstiftende Auflösung des Widerstreits gesetzt“, heißt es bei Schumacher: „Es geht also um eine Form der Ironie, die sich als philosophisches Konzept und als ästhetisches Verfahren einem vereinseitigenden Zugriff auf Intentionen und vermeintliche Sinngehalte entzieht, oszillierende Bewegungen einleitet und dabei jeden Standpunkt […] verunsichert.“ [56] Gerade wenn wir ohne Ganzheitsvorstellungen und die Annahme von letzten Gründen nicht auskommen sollten, bleibt es entscheidend, deren Fragilität und Veränderbarkeit zu bedenken und anzuzeigen, dem Enthusiasmus also die Skepsis an die Seite zu stellen. Nur so ließe sich ein Abgleiten in gefährliche Totalitäten auf der einen und in eine Haltlosigkeit auf der anderen Seite vermeiden, die gefährdete Subjekte zu Kurzschlusshandlungen verleitet. Die Widersprüche und Spannungen der romantisch-komplexen Ironie sind nicht aufzulösen, weil sie unvereinbare, aber gleichermaßen notwendige Pole umfasst.

Die Unfähigkeit, das Fehlen einer großen Erzählung zu ertragen, hat auch in der Gegenwart das Potential, von verschiedenen Enden her Verabsolutierungs- und Schließungsversuche zu motivieren: Auf einige aktuelle Versuche soll ein abschließender Blick geworfen werden. Ein erstes Beispiel hat Albrecht Koschorke in einem gegenwartsanalytischen Arbeitspapier erfasst. Für ihn führen die Umwälzungen der 1960er und 1970er Jahren (in Paris als theoretischem Zentrum und in den amerikanischen Humanities Departments) zur Ausbreitung des Konstruktivismus und zur „Demontage der vorgeblichen Naturhaftigkeit von Kategorien wie Geschlecht, Ethnie, Nation oder Rasse“ und kommen damit sowohl „postkolonialen Bestrebungen als auch Tendenzen im Feminismus“ entgegen. [57] Inzwischen sind entsprechende Positionen Teil des allgemeinen Bewusstseins: die Dekonstruktion der Geschlechterbinarität, die Bejahung ethnischer Vielfalt, die Bevorzugung von Hybridität gegenüber Reinheit, der Respekt vor dem irreduziblen Singulären. Allerdings haben sich nach Koschorke im „Marsch durch die Institutionen“ signifikante Veränderungen ergeben: Spiegelt sich die Aufkündigung absoluter Wahrheiten und fester Identitäten zunächst in Diversity oder Gender fluidity, ist die dekonstruktive Freude am Nicht-Festlegen und dem Spielerisch-Subversiven inzwischen einer „Palette von Identitätsoptionen gewichen, die in verkleinertem Maßstab reproduzieren, was im Großen aufgesprengt werden sollte“. [58] „In einer dialektischen Volte hat das Vokabular von Differenz und Alterität eine Vielzahl neuer, partikularer Identitäten aus sich hervorgetrieben. Den Vorgaben konstruktivistischer Theorie entsprechen sie insofern, als sie den Charakter von etwas Selbstgewähltem, Performativem, eben Konstruiertem bewahren. Indessen neigen sie ihrerseits dazu, sich zu behaupteten Wesenheiten zu verfestigen.“ [59] Diese Prozesse bestimmen gegenwärtige gesellschaftliche Auseinandersetzungen und lassen sich als Essentialisierung von Differenz fassen. Dass dies nicht zwangsläufig der Fall sein muss, hinsichtlich des Identitätsverständnisses und der literarischen Form die ironische Beweglichkeit auch bei identitätspolitischen Themen aufrechterhalten werden kann, zeigt die Literatur: ein Beispiel wäre der Roman Identitti von Mithu Sanyal.

Als Kritik an einem romantisch-ironischen Selbst- und Weltverständnis können gegenwärtige Forderungen nach „Authentizität“ verstanden werden, wie Erik Schilling sie in einer Publikation zusammengefasst hat. [60] Die Bezeichnung „authentisch“ lässt für ihn keinen „Raum für Unschärfe, Ironie, wechselnde Facetten“. Stattdessen insinuiere das Konzept der „Authentizität“, dass die menschliche Wahrnehmung zu einem eindeutigen und wahren Kern vom Menschen und Dingen vordringen könne. [61] Die Hoffnung der Authentizitätsgläubigen richte sich auf eine unveränderliche Essenz im Inneren des Selbst und im Anderen. Aus dieser „Wesensauthentizität“ erwachse dann die Authentizität von Erfahrungen – etwa jene von Diskriminierung oder sozialem Aufstieg. [62] Die Forderung von „Erfahrungsauthentizität“ als Handlungsgrundlage in verschiedensten Kontexten unterstellt, dass allein die Nähe zu einem Erkenntnisobjekt die Urteils- und Einsichtsfähigkeit sichert. Der „Authentizitätsboom“ ist für Schilling eine Eindeutigkeit herstellende Reaktion auf eine zunehmende gesellschaftliche Komplexität und Partialisierung der Person – und eine Rebellion der Kinder der Postmoderne. [63] Sie könne in verschiedenen politischen und sozialen Milieus – von der LGBTQ-Community bis zu den Identitären – gleichermaßen beobachtet werden. [64]

Politisch problematisch ist die Forderung nach authentischer Repräsentation von Positionen, da sie Menschen kategorisiert und ihnen damit eine Vielschichtigkeit und Veränderbarkeit nimmt, aber vor allem, da sie einer Trennung von empirischer und öffentlicher Person zuwiderläuft, wie sie einem demokratischen Institutionenverständnis selbstverständlich zugrundliegt. In der Neuen Rechten ist zudem zu beobachten, dass romantisch-fluide Identitäten nicht nur durch einen festen inneren Kern stabilisiert werden sollen, sondern auch in einem äußeren höchsten Gut: in Volk und Gemeinschaft. So spricht Björn Höcke in dem Gesprächsband Nie zweimal in denselben Fluss über die Exzesse der Individualisierung, die eine aus dem Ruder gelaufene Moderne hervorgebracht habe und die nun einer Unterordnung unter das Allgemeine, einer Einordnung ins Volk weichen müsse. [65]  Die Folgen einer solchen Argumentation, die immer schon weiß, wer zu diesem Volk gehört, zeigt die Geschichte des deutschen Nationalismus seit dem 19. Jahrhundert. [66]

Ästhetisch gesehen kann die Forderung von ‚Authentizität‘ zur Rückkehr eines simplen Realismus führen, zur Annahme, die ‚Wirklichkeit‘ ließe sich abbilden, ohne den Status dieser ‚Wirklichkeit‘ und den Prozess der Abbildung selbst zu reflektieren. Schilling spricht von Büchern, die durch das Erfüllen bestimmter Konventionen (etwa raum-zeitliche Referenzen, die Integration historischer Dokumente, eine Ich-Perspektive, die auf eine Filterung von Fakten zu verzichten scheint) mit den Lesenden einen Authentizitätspakt anstelle eines Fiktionalitätsvertrags schließen. [67] Er denkt dabei an den Norweger Karl Ove Knausgård. Auch Erinnerungsromane – derzeit vornehmlich aus den Zeiten von Wende und DDR – weisen die Tendenz auf, durch Konkretion und Eindeutigkeit einen Anspruch auf Authentizität und Wahrhaftigkeit zu erheben. Ein Beispiel wäre hier Anne Rabes Die Möglichkeit von Glück. Die Feuilletondebatte um die Angemessenheit des Romans von Charlotte Gneuß, Gittersee (2023), und die Frage, wer eigentlich ausgewiesen sei, über die DDR zu schreiben, zeigt, wie ernst dieser Anspruch genommen und wie wenig er literaturtheoretisch problematisiert wird. [68] Schilling spricht nicht nur im Hinblick auf die Literatur von einem „Wechsel von ambiguitätsaffinen und authentizitätsaffinen Phasen“. Während Erstere „Widersprüchlichkeit in der Darstellung, im Leben und Erleben nicht zu reduzieren suchen, sondern als ästhetischen, gesellschaftlichen oder persönlichen Mehrwert schätzen, halten Letztere die Ideale der Eindeutigkeit und Klarheit hoch“. [69]

Am Schluss soll auf diejenigen verweisen werden, die das von Schilling beschriebene Authentizitätsbedürfnis distanzieren, ohne es aufzugeben, auf jene Positionen, die Effekte des Authentischen mit Signalen des Verfehlens, der Unsicherheit von (Selbst-)Erkenntnis und Kommunikation verbinden, ohne die Sehnsucht nach dem Abwesenden zu bestreiten. [70] Zu zeigen bleibt also, dass es auch gegenwärtig Autoren und Autorinnen gibt, die eine Tradition fortschreiben, die mit der Theorie und Literatur der Romantik begann. Ulrich Breuer hat die Frage gestellt, ob die Literatur noch immer der Ort ist, an dem das moderne Individuum seine eigene Bestimmung verhandelt, ohne sie je vollständig finden zu können. Und er verweist darauf, dass die Antwort darin liegt, das moderne Individuum noch immer eingespannt in eine vertikale und eine horizontale Dimension zu denken:

„Tatsächlich verbindet es nur in seinen avancierten Ausprägungen das Vertikale eines festgehaltenen Totalitäts-, Transzendenz- oder Wertbezugs (mitsamt den überkommenen Resten alteuropäischer Metaphysik) mit der horizontalen Dimension einer funktional strukturierten Gesellschaft, die permanent Individuen freisetzt […] Weil es immens anstrengend ist und zunehmend auch antiquiert erscheint, die vertikale Dimension des poetischen Individualitätskonzepts mit der horizontalen zu verbinden, kann dieses Konzept nur dadurch in Serie gehen, dass es sich aufspaltet. Entweder konvertiert man dann als Romantiker zu einer der großen, haltgebenden Religionen und verkürzt damit das Individualitätskonzept um seine soziale Dimension, oder man kappt den Transzendenzbezug und kümmert sich als Dandy, Hippie oder Freak um die eigenen Erscheinung und ein möglichst markantes Eindrucksmanagement in der Gesellschaft der Singularitäten. Eine Verknüpfung beider Dimensionen ist weiterhin die Aufgabe ästhetischer Artefakte, deren Rang sich am Gelingen dieser Verknüpfung bemessen lässt.“ [71]

Diese Position können Literaturanalysen bestätigen, die zeigen, inwiefern auch gegenwärtig um die Vereinbarung einer horizontalen und einer vertikalen Dimension gerungen wird. Wieder und immer noch ist die Literatur Aushandlungsort dieser Prozesse und die romantische Ironie hierfür ein zentrales Mittel. Die historische Romantik reagierte auf die Erschütterungen der vertikalen Dimension mit der Entfaltung von Subjektivität. Unter deren Vorbehalt wurde die Vertikale versuchsweise wieder eingezogen. Natürlich finden sich heute allenthalben essentialisierende Verkürzungen auf der einen und haltlos übersteigerte Singularitäten auf der anderen Seite. [72] Aber von einer endgültigen Überwindung der romantischen Ironie, die diese beiden Pole in eine heikle Balance zu bringen versucht, kann keine Rede sein. Das bezeugt eine reiche, sich auf einen entziehenden Sinn gerichtete Literatur. Die Entwicklung des Werks der Pop-Ikone Benjamin von Stuckrad-Barre, ein Blick auf Romane von Leif Randt und Mithu Sanyal können das ebenso zeigen wie einige nordamerikanische Romane der New Sincerity und das Werk des Nobelpreisträgers Jon Fosse.

 

Anmerkungen

[1] „Systematische Philosophen möchten ihr Fach auf den sicheren Pfad einer Wissenschaft führen. Bildende Philosophen wollen jenem Staunen seinen Platz erhalten, das Dichter manchmal hervorrufen können – dem Staunen, daß es etwas Neues unter der Sonne gibt, etwas, das nicht im genauen Darstellen des schon Vorhandenen aufgeht,“ Ludwig Nagl: Pragmatismus, Frankfurt am Main 1998, S. 163.

[2] Daniel-Pascal Zorn: Die Krise des Absoluten. Was die Postmoderne hätte sein können, Stuttgart 2022, S. 558.

[3] Richard Rorty: Contingency, Irony, and Solidarity, Cambridge 1989, S. XV.

[4] Zorn: Die Krise des Absoluten, S. 557.

[5] Heute neigen – so Rorty – die Naturwissenschaften zu dem Anspruch, mit einen absoluten Wirklichkeitszugriff zu operieren und damit zu einem übersteigerten Realismus mit vermeintlich ontologischen Privilegien. Trotz ihres ungeheuren Erfolgs würden auch die Naturwissenschaften uns nicht in engeren Kontakt mit der Wirklichkeit bringen als andere Vokabulare.

[6] Ein kurzer Seitenblick: Es findet sich in Nietzsches 1878 erschienener Aphorismensammlung Menschliches, Allzumenschliches eine prägnante Modernediagnose, die zu seinem Ironieverständnis hinführt. Er schildert eine säkularisierte und in Fluss geratene Welt, die dem Individuum die Sicherheiten und Orientierungspunkte entzieht: „Je weniger die Menschen durch das Herkommen gebunden sind, um so grösser wird die innere Bewegung der Motive, um so grösser wiederum, dem entsprechend, die Polyphonie der Bestrebungen. Für wen giebt es jetzt noch einen strengen Zwang, an einen Ort sich und seine Nachkommen anzubinden? Für wen giebt es überhaupt noch etwas streng Bindendes?“ Dies ist für Nietzsche zunächst ein Gewinn: Ein modernes Ich kann „auf mehr Saiten spielen“ als der alte Mensch, sein Inneres wie ein Gebäude gestalten, in dem verschiedene und auch widerstrebend Ideen wohnen. Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, Bd. 2, hg. von Giorgio Colli/Mazzino Montinari, München 1999, S. 44. Vgl. Dirk von Petersdorff: Fliehkräfte der Moderne. Zur Ich-Konstitution in der Lyrik des frühen 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005, S. 25–53. In Also sprach Zarathustra tritt die Ironie dann als Schatten auf, der den Zweifel verkörpert, als eine quälende Wahrheits- und Erkenntniskritik, der es zu entkommen gilt: „Habe ich - noch ein Ziel? Einen Hafen, nach dem mein Segel läuft? Einen guten Wind? Ach, nur wer weiss, wohin er fährt, weiss auch, welcher Wind gut und sein Fahrtwind ist.“ Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, Bd. 4, S. 338ff. Dieser Zweifel kann zur Orientierungslosigkeit führen: „Das Individuum steht da genöthigt zu einer eigenen Gesetzgebung, zu eigenen Künsten und Listen der Selbst-Erhaltung, Selbst-Erhöhung, Selbst-Erlösung. Lauter neue Wozu’s, lauter neue Womit’s, keine gemeinsamen Formeln mehr, Missverständisse und Missachtung.“ (Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, Bd. 5, S. 214ff.) Die Anteile Nietzsches, die auf eine Überwindung der relativierenden Dauerkritik zielen, die erneut auf ein Unbedingtes und Unbezweifelbares hoffen, lehnen sich in seinem Werk an verschiedene Größen an – im Spätwerk, in Jenseits von Gut und Böse kulminieren sie im Willen zur Macht.

[7] Ulf Schulenberg untersucht den Gebrauch, den der Pragmatismus / Neopragmatismus von der Romantik (und das heißt vor allem von der englischen und amerikanischen Romantik mit Seitenblicken auf die deutsche Tradition) macht. Richard Rorty diskutiert Romantik über 25 Jahre – von Nineteenth-Century Idealism and Twentieth-Century Textualism (1981) bis Grandeur, Profundity, and Finitude und Pragmatism and Romanticism (beide 2007). Ulf Schulenburg: Romanticism and Pragmatism. Richard Rorty and the idea of a poeticized culture, Basingstoke/New York 2015, S. 5 und S. 121.

[8] Rorty: Contingency, Irony, and Solidarity, S. 73.

[9] Vgl. zu diesem Abschnitt: Josef Früchtl: „Rorty, Richard“, in: Metzler Philosophen-Lexikon, https://www.spektrum.de/lexikon/philosophen/rorty-richard/285, zuletzt abgerufen am 19. September 2024.

[10] Robert Brandom (Hg.): Rorty and his critics, Malden, Mass. 2000, S. XII.

[11] Nagl: Pragmatismus, S. 176f.

[12] Richard J. Bernstein: Ironic Life, Cambridge 2016.

[13] In der Hoffnung, ein offener und herrschaftsfreier Diskurs helfe, diese tragfähigen Formen des Zusammenlebens zu entwickeln, nähert sich Rorty Jürgen Habermas an.

[14] Schulenberg: Romanticism and Pragmatism, S. 5.

[15] Ebd., S. 6.

[16] Novalis: „Das philosophische Werk“ in: Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, Bd. 2, hg. von Paul Kluckhohn/Richard Samuel, Stuttgart 1965, S. 545.

[17] Schulenberg: Romanticism and Pragmatism, S. 122. Die Aussagen beziehen sich zumeist auf die englischen Romantik: Gezeigt wird bei Schulenberg, dass Shelleys Vokabular eines der noch vorhandenen metaphysischen Bedürftigkeit ist: „someone who, in spite of his desire for self-creation and his emphasis on the autonomy of the poet as prophet, still finds himself captured by Platonism. ‚Divinity‘, ‚the eternal‘, ‚the infinite‘, and ‚Eternal truth‘ – these terms belong to a way of speaking whose unselessness, insufficienchcies, and dangers Rorty, the romantic pragmatist and radical atheist, wants to recognize.“ Ebd., S. 125.

[18] Bernstein: Ironic Life, S. 6.

[19] Rorty: Contingency, Irony, and Solidarity, S. 142.

[20] Barbara Weber: „Die liberale Ironikerin: Von der politischen Intellektuellen zur realistischen Träumerin“, in: Handbuch Richard Rorty, hg. von Martin Müller, Wiesbaden 2020, S. 883–899, hier S. 896.

[21] Ethik braucht Verallgemeinerung – das ist die klassische Kritik des Kommunitarismus am Liberalismus. Hierauf verweist Weber: Die liberale Ironikerin, S. 894.

[22] Christopher Butler: Postmodernism. A Very Short Introduction, Oxford 2002, S. 13 und S. 49.

[23] Zorn: Die Krise des Absoluten, S. 48.

[24] Lyotard verweist darauf, dass die Postmoderne eine kritische Haltung kultiviert, die der Moderne von Anfang an eingeschrieben ist. Jean-François Lyotard: „Résponse á la question: qu‘est-ce que le postmoderne?“, in: Ders.: Le Postmoderne expliqué aux enfants, Paris 1988, S. 28.

[25] Zur Ironie als Kennzeichen postmoderner Literatur vgl. Linda Hutcheon: Irony’s Edge. The Theory and Politics of Irony, London 1994; Karl Heinz Magister/Utz Riese: „Postmoderne/postmodern“, in: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 5, hg. von Karlheinz Barck, Stuttgart 2010, S. 1–39.

[26] Felix Haase: Productive Failure. Sincerity and Irony in Contemporary North American Literature, Darmstadt 2022, S. 31f. „It is puzzling, then, that there is no shortage of critics who claim that Romantic Irony and Postmodern Irony are essentially the same concept. Consider for example Magill, who in his study of Romantic Irony claims that: Schlegel held the equivalent of some postmodern, post-colonial notions that remain present with us today as commonly accepted assumptions: truth as relative, nature and reality as always changing, reality is contradictory and complex – incomprehensible, un-to-talizable – aptly, fragmentary‘ […] This is also the main reason why Schlegel was popular among many members of the Yale School of Deconstruction. One of the most prominent members of this group, Paul de Man, saw in Schlegel a precursor of his own ideas, and in Schlegel‘ writings on irony a foundation for the theory of deconstruction“.

[27] Haase: Productive Failure, S. 33.

[28] Leslie Fiedler: „Cross the Border – Close the Gap (1969) - Überquert die Grenze, schließt den Graben! Über die Postmoderne (1969)“, in: Roman oder Leben. Postmoderne in der deutschen Literatur, hg. von Uwe Wittstock, Leipzig, 1994, S. 14–39, hier 14.

[29] Moritz Baßler/Eckhard Schumacher (Hgg.): Handbuch Literatur und Pop, Berlin/Boston 2022, S. 11.

[30] Ebd.

[31] Eckhard Schumacher: „Ironie der Ironie“, in: Konjunkturen der Ironie – um 1800, um 2000, hg. von Dirk von Petersdorff/Jens Ewen, Heidelberg 2017, S. 209–224, hier, S. 209.

[32] Rainald Goetz: loslabern. Bericht, Frankfurt am Main 2009, S. 29f. Vgl. Schumacher: Ironie, S. 213f.

[33] Goetz: loslabern, S. 44.

[34] Joachim Bessing: Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett mit Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander von Schönburg und Benjamin von Stuckrad-Barre, Berlin 1999, S. 144.

[35] Schumacher: Ironie, S. 220. Vgl. auch Christoph Rauen: Pop und Ironie. Popdiskurs und Popliteratur um 1980 und 2000, Berlin/New York 2010, S. 150.

[36] Baßler/Schumacher: Handbuch, S. 9.

[37] Den Zitatcharakter aller Erfahrungen in der Postmoderne hatte schon Umberto Eco hervorgehoben. Umberto Eco: „Postmodernismus, Ironie und Vergnügen“, in: Ders.: Nachschrift zum Namen der Rose, München/Wien 1984, S. 76–82.

[38] Friedrich Schlegel: „Charakteristiken und Kritiken“, in: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 2, S. 185.

[39] Vgl. Sandra Kerschbaumer: „‚Perspektivendifferenz‘ als soziologische Diagnose und ‚Problem‘ in der erzählenden Literatur der Gegenwart“, in: IASL 1/40 (2021), S. 40–65.

[40] David Foster Wallace: „E Unibus Pluram. Television and U.S. Fiction“, in: The Review of Contemporary Fiction 13 (1993), S. 151; Philipp Ohnesorge/Philipp Pabst: „Postironie/New Sincerity: Eine Einführung“, in: Where are We Now? Orientierungen nach der Postmoderne, hg. von Sebastian Berlich/Holger Grevenbrock/Katharina Scheerer, Bielefeld 2024, S. 33–47, hier S. 37.

[41] Jedediah  Purdy: For Common Things: Irony, Trust, and Commitment in America Today, New York 1999 (auf Deutsch: Das Elend der Ironie, Hamburg 2002), hier S. 83.

[42] Vgl. Hegel: Werke, Bd. XIII, S. 94f.

[43] Roger Rosenblatt: „The Age of Irony Comes To An End“, in: Time Magazine, 16. September 2001.

[44] Eckhard Schumacher: „Das Ende der Ironie (um 1800/um 2000)“, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie 1 (2003), S. 18–30, hier S. 23 und S. 24. Position von Claudius Seidl: Dabei wird „Spaßgesellschaft“ zu einem Kampfbegriff“ derer, die „ihre eigene schlechte Laune und, den eigenen Mangel an Humor schon für kritisches Bewußtsein hielten“ und glaubten „der Weltgeist selbst habe Flugzeuge in Wolkenkratzer stürzen lassen, um Unernst und Unsinn zum Schweigen zu bringen“. Claudius Seidl, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 28. Oktober 2001.

[45] Schumacher: Das Ende der Ironie, S. 25.

[46] Durs Grünbein und Jens Bisky werden zitiert nach Schumacher: Das Ende der Ironie, S. 27.

[47] Ebd., S. 29.

[48] Jonathan Fitzgerald: „Sincerity, not Irony, is our Age’s Ethos“, in: The Atlantic, 20. November 2012.

[49] Alex Shakar: The Savage Girl, New York 2001: „Postirony is ironic earnestness“, S. 140. Vgl. auch Ohnesorge/Pabst: Postironie/New Sincerity, S. 33–47.

[50] Johannes M. Hedinger: „Postironie. Geschichte, Theorie und Praxis einer Kunst nach der Ironie (Eine Betrachtung aus zwei Perspektiven)“, in: Kunstforum International 213 (2011), 112–125, hier S. 112.

[51] Ebd.

[52] Sebastian Plönges: „Postironie als Entfaltung“, in: Medien & Bildung. Institutionelle Kontexte und kultureller Wandel, hg. von Torsten Meyer/Wey-Han Tan/Christina Schwalbe/Ralf Appelt, Wiesbaden 2011, S. 439–446, hier S. 444.

[53] Die Position von Plönges aktualisiert diejenige von Lee Konstantinou: Cool Charakters (2016). Untersuchung über die Funktion von Ironie in der amerikanischen Literatur seit 1950. Vgl. Ohnesorge/Papst: Postironie/New Sincerity S. 39: Lee Konstantinou sieht Postironie als Modus, der die Prävalenz des Ironischen akzeptiert, gleichzeitig problematisiert und aufrichtige Kommunikation (oft verbunden mit behaupteter Identität von Autor und Figur, lakonischen, deskriptivem Gestus, nüchterner Bestandsaufnahme des eigenen Gefühlshaushaltes) zum neuen literarischen Projekt macht. „Postironiker:innen schreiben, so lässt sich konstatieren, gegen eine Aporie an, die von ihnen erkannt wird. Es handelt sich demnach nicht um eine geglückte Überwindung des ironischen Zeitgeists, sondern um den Versuch seiner Überwindung, durch den ein Gegengewicht installiert wird“.

[54] Vgl. Daniel Neumann/David Prinz: „Sich aufs Spiel setzen“. Postironische Subjektivierungsweisen im Poststrukturalismus, in: Gestern | Romantik | Heute, https://www.gestern-romantik-heute.uni-jena.de/wissenschaft/artikel/sich-aufs-spielsetzen-post-ironische-subjektivierungsweisen-im-poststrukturalismus-1, zuletzt abgerufen am 19. September 2024.

[55] Gregory Vlastos: Socrates: Ironist and Moral Philosopher, Ithaca 1991, S. 32.

[56] Schumacher: Das Ende der Ironie, S. 20.

[57] Der folgende Abschnitt folgt Albrecht Koschorke: Identität, Vulnerabilität und Ressentiment. Positionskämpfe in der Mittelschicht. FGZ Working Paper Nr. 1, Leipzig 2021, fgz-risc.de/fileadmin/publikationen/2021/fgz-wp_1_koschorke_identitaet-vulnerablitaet-ressentiment.pdf, S. 1, zuletzt abgerufen am 19. September 2024.

[58] Ebd.

[59] Koschorke meldet somit Zweifel daran an, dass es sich um einen „strategic essentialism“ handelt, der sich vom „real essentialism“ unterscheidet – wie es Gayatri Spivak formuliert hatte: Gayatri Chakravorty Spivak: Outside in the Teaching Machine, New York/London 1993, S. 3.

[60] Erik Schilling: Authentizität. Karriere einer Sehnsucht, München 2020.

[61] Ebd., S. 16f.

[62] Ebd., 37.

[63] Schilling: Authentizität, S. 19. Christoph Rauen hatte hingegen die generelle Abgrenzung der Postmodernen gegen eine ältere Generation mit ihrem Glauben an einigen heiligen Ernst und ein stabiles Ich hervorgehoben. Siehe Rauen: Pop und Ironie, S. 63.

[64] Ebd., S. 10.

[65] Björn Höcke: Nie zweimal in denselben Fluss, Berlin 2018.

[66] Eine stets im Prozess der Ausprägung und des Wandels befindliche romantische Identität wich im Zuge der Befreiungskriege schon einmal einer Rücknahme dieses Individualitätskonzepts zugunsten einer Eingliederung in Volk und Gemeinschaft.

[67] Schilling: Authentizität, S. 58

[68] Moritz Baßler hat in einem Buch über den populären Realismus dann auch beklagt, dass in der Literatur des heutige „Midcult“ eindeutige Subjekte Echtheitsbotschaften aussenden und sich damit weit von einem (post-)modernen Subjektentwurf entfernen. Moritz Baßler: Populärer Realismus. Vom International Style gegenwärtigen Erzählens, München 2022. Angegriffen wurde Basler für seine Verteidigung der Kategorie des Spiel und die Dominanz von (autonomen) literarischen Formen. Zu den entsprechenden Debatten siehe Jens Ole Schneider: „Pop und Identität bei Mithu Sanyal und Sophie Passmann“, in: Pop-Zeitschrift, 08. November 2021, https://pop-zeitschrift.de/2021/11/08/pop-und-identitaet-bei-mithu-sanyal-und-sophie-passmannautorvon-jens-ole-schneider-autordatum8-11-2021/, zuletzt abgerufen am 19. September 2024.

[69] Schilling: Authentizität, S. 103.

[70] Vgl. Haase: Productive Failure, S. 46f. Haase schildert am Beispiel einer avancierten „Autofiction“ das Ineinandergreifen vom Wunsch nach ernsthaftem Selbstausdruck und dessen skeptischer Relativierung.

[71] Ulrich Breuer: „Eigensinn. Prolegomena zum poetischen Individualitätskonzept der Romantik“, in: Abschied vom Individuum? Romantische Konzeptionen von Individualität und ihre Kritik, hg. von Maria Verónica Galfione/Alexander Knopf, Paderborn 2023, S. 1–48, hier S. 13 und S. 37.

[72] Maria Verónika Galfione hat darauf aufmerksam gemacht, dass Andreas Reckwitz in seinem erfolgreichen Buch Die Gesellschaft der Singularitäten (2017) den in der Romantik vorhandene Gegenimpuls, der auf religiöse Einbindung oder deren Äquivalente, auf eine Restitution des Allgemeinen zielt, verkennt und Romantik ausschließlich als Ursprung einer das 19. und 20. Jahrhundert durchlaufenden Linie der Selbstverwirklichung und Selbstentfaltung versteht, die im 21. Jahrhundert dann dominant als „kulturrevolutionärer Singularismus“ hervortritt und die historischen Subjektivierungsimpulse pervertiert. Maria Verónika Galfione: „Die Unruhe der Kritik“, in: Abschied vom Individuum? Romantische Konzeptionen von Individualität und ihre Kritik, hg. von Maria Verónica Galfione/Alexander Knopf, Paderborn 2023, S. 153–175, hier S. 156.

 

Der wissenschaftliche Impuls ist unter folgendem Link dauerhaft abrufbar: https://doi.org/10.22032/dbt.62564

Dictum „Postirony“ und Dictum „Beauty is the new punk“ des Künstlerkollektivs Com&Com (Marcus Gossolt und Johannes Hedinger) von 2009, basierend auf dem 2008 erschienenen postironischen Manifest von Com&Com