Stefan Börnchen
„Alles ist eins“
Romantische Metaphorologie des Mediums
Bisher gibt es wenige Forscher*innen, die Hans Blumenbergs metaphorologischen Ansatz verfolgten (etwa Caroline Torra-Mattenklott, Anselm Haverkamp und Eva Geulen). Dennoch gleicht das akademische Fortleben dieser ursprünglich philosophiegeschichtlichen Perspektive dem der unter dem Überbegriff Poststrukturalismus verbreiteten psychoanalytischen und philosophischen Methoden aus der Mitte des 20. Jahrhunderts: Sie wurden und werden von Vertreter*innen der Humanwissenschaften für verschiedene Fachdisziplinen produktiv gemacht – insbesondere innerhalb der Literaturwissenschaft. Vor diesem Hintergrund steht Stefan Börnchens Romantische Metaphorologie des Mediums.
Das Cover, der Titel und das Volumen weisen auf ein langwieriges, aber vor allem interessantes Lektüreunterfangen voraus: Formen romantischer Ästhetisierung des hen kai pan mit blumenberg’scher Methode rekonstruiert. Der Ausschnitt von Carl G. Carus’ Nebelwolken in der Sächsischen Schweiz (um 1828) auf dem Buchdeckel ist sowohl thematisch als auch vom Entstehungskontext her ideal gewählt: Sandsteinsäulen – ohne Wanderer – im Wolkenmeer – von einem Maler, Naturphilosophen und Mediziner der Romantik.
Die Monographie besteht neben einer als Ausblick formulierten Einleitung aus neun inhaltlichen Kapiteln, an die sich ein Abbildungs- und Literaturverzeichnis anschließen. Die gut 70 Abbildungen sind wohltuende Illustrationen des teils verspielt-sprunghaften, teils sehr gelehrten und abstrakten Leseflusses. Mit einem Dank endet die 760 Seiten starke Studie – eine klassische Form des germanistischen Backsteins mit vielen intratextuellen Verweisen, einem analytischen Gespinst mit Bezug auf literaturtheoretische Gewährs-Männer sowie brillanten Abstraktionen und Pointen.
Die Kapitel gehen den Weg von methodischen (Kap. 2) und theoretischen Erläuterungen (Kap. 3, 4) über einen historischen Zugang (Kap. 5) bis hin zur Quellenauslegung, die weitere fünf Kapitel umfasst. In ihrer Abfolge eine intendierte Anordnung herauszulesen, fällt nicht gerade leicht: Während das fünfte Kapitel im Ausgang von E.T.A. Hoffmanns Briefe aus den Bergen die Theoriegeschichte des Mediums streift, die für das Weitere grundlegend ist, befinden wir uns im sechsten Kapitel im 20. Jahrhundert bei Georg Simmels Aufsatz über den Henkel und im 21. Jahrhundert bei der Prosa Dan Browns und Christian Krachts, um dann im siebten Kapitel 1785 bei Friedrich Schillers ironischer Text-Bild-Exkursion Avanturen des neuen Telemachs zu landen. Danach erhalten wir einen detaillierten Einblick in die Bildhaftigkeit von Wolfgang von Kempelens Schachautomat, dessen Ereignis in den europäischen Salons parallel zu Robert Löhrs gleichnamigem Roman gelesen wird. Die letzten zwei Kapitel widmen sich den literarästhetischen Darstellungen von Camerae obscurae in Schillers Geisterseher und den immersiven Praktiken der Figuren in Joseph von Eichendorffs Ahnung und Gegenwart. Mit dem abschließenden Kapitel bieten Cover, Einführung, die Theorie und die Untersuchung ein Bild, das Blicke auf die Wirkungsästhetik und ästhetische Qualität von kulturell geformten Erfahrungen in und mit Natur eröffnet: anhand von Skywalks, Skylines und Wingsuits.
Zu Beginn bietet Börnchen den Rezipient*innen einen Ausblick, der direkt an die Substanz geht; an die Substanz der Sache, der Lesenden und ihres begrifflichen Auffassungsvermögens: „Das Medium ist […] eine Metapher […]. ‚Romantisch‘ ist die Metapher des Mediums […], weil um 1800 der Begriff ‚Medium‘ in dem hier in Rede stehenden Sinn aufkommt, den das Wort auch heute noch hat.“ Dieser Metapher eigne die performative Qualität, den „ganzen Menschen“ hervorzubringen (1). Es ist anders gesagt ein sprachliches Äquivalent für ästhetische Phänomene, die Metapher einer monistischen Anthropologie. Dieses Verständnis von Medium irritiert, nicht nur zunächst, sondern nachhaltig – so soll es für Modernisten sein: Ist denn der zugrundeliegende Begriff des Mediums eine Metapher? Wie kann ein Begriff eine Metapher sein? Wie kann der Sinn dieses zunächst einmal sprachlichen Phänomens heute noch gegeben sein, wenn er sich meinem alltäglichen und auch theoretischen Verständnis von Medium entzieht? Dass diese topologische Mehrdeutigkeit und terminologische Unschärfe gewollt sind, wird im Verlauf der ersten zwei Kapitel sowohl mit dem Verweis auf Jacques Derrida als auch mit dem Hinweis darauf, dass das Medium „mal als Metapher, mal als Begriff“ (32) in den Fokus gerät, deutlich: Wissenschaftliche Methode, Forschungsgegenstand und Ergebnispräsentation werden nicht systematisch getrennt – und können wohl auch nicht systematisch getrennt werden.
Lässt sich das Phänomen eines spezifisch romantischen Mediums trotz dieser Unschärfe nun allgemeinverständlicher benennen? Vage übersetzt ist es etwas, das anthropologische Ganzheit herstellt. Die Metaphorizität dieses Mediums wird anhand von ästhetischen, philosophischen und populärkulturellen Phänomenen des Unbegrifflichen beschrieben und untersucht. Zwar verweist die Studie der titelgebenden Metaphorologie auf Hans Blumenberg, die eigentlichen theoretischen Bezüge sind laut Ausblick (Kap. 1) allerdings andere: neben Derrida auch Leo Spitzer und Jean-Luc Nancy. Um eine Perspektive auf das romantische Medium einzustellen, bedient sich Börnchen ästhetischer Terminologie: Dazu zählen Dieter Merschs Konzeption des Mediums als metaxύ (zwischen), Leo Spitzers Rekonstruktion des periéchon (das Umfassende) sowie das auf Aristoteles’ Unterscheidung zwischen hylē (Stoff) und eîdos (Form) zurückverweisende Leib-Seele-Problem bzw. das im Anschluss an René Descartes bezeichnete Commercium-Problem.
Jedes Kapitel des Hauptteils setzt mindestens einen theoretischen Schwerpunkt, der im Rahmen des sich umkreisenden und wiederholenden Untersuchungsgangs teilweise schon bekannt ist oder erstmalig auftaucht. So wird in den Ausführungen zu Schillers Avanturen eine scheinbar überflüssige Linie in einer graphischen Darstellung von Gottfried Körner zum Anlass genommen, sie mit Jacques Lacan und Sigmund Freud zu lesen. Die als Schachtürke bezeichnete Maschine wird systemtheoretisch in eine Blackbox übersetzt. Und die ästhetische Form einer heideggerschen Philosophie der Eigentlichkeit wird aus dem ästhetischen Dispositiv Bäume und Balkone erkletternder Figuren in Eichendorffs Ahnung und Gegenwart erklärt. Die auf diese Weise parallel geführten literarisch-ästhetischen Phänomene und Theorien erhellen sich wechselseitig. Damit ist die Arbeit über den von ihr eng gesetzten Medienbegriff hinaus insofern tatsächlich eine Analyse ästhetischer Dispositive der Theorie, Literatur und populärkultureller Phänomene. Auch verortet der Verfasser die Arbeit in den Medienwissenschaften. Das trifft insofern zu, als die konkreten Bezüge auf Malerei, Tanz, Automaten, visuelle Apparaturen wie die Laterna magica und die Camera obscura sowie ihre literarische Reflexion zu den Gegenständen der Untersuchung gehören.
Dieses Amalgam setzt sich in den Worten des Verfassers so zusammen: „Zwar kommen technische Medien im Folgenden auch gelegentlich vor […]. In erster Linie jedoch geht es um mal mehr, mal weniger abstrakte, manchmal im wörtlichen Sinne diffuse, manchmal ganz konkrete Metaphern […], Phantasmen oder eben […] Dispositive des Medienbegriffs: zum Beispiel Baum und Turm (Kap. 10) und die durch die Besteigung und Höhe über der Erde eröffnete Himmelsnähe (Kap. 4, 10), den Rahmen als Öffnung eines Kastens, einer Camera obscura oder einer Blackbox (Kap. 8), die Linie als Kontur (Kap. 7), Rauch und Flüssigkeit als Fluidum, Atmosphäre oder Stimmung (Kap. 9).“ (5) Gerahmt werden diese Phänomene von Felsen, die in Abgründe hineinragen, und dem Erklimmen von Höhen als Motive der Überschreitung zum Vollkommenen.
Ich durfte bei der Lektüre einige mir unbekannte Quellen der Romantik entdecken und über einige sehr witzige Zusammenhänge schmunzeln. Gleichzeitig sind Aspekte der Form und des Stils der Studie diskussionsbedürftig. Börnchen bietet Anknüpfungspunkte dafür, um einige disparate Ansätze der Philosophie, humanwissenschaftlicher Theorien sowie populärkulturelle Phänomene des 20. und 21. Jahrhunderts als Transformationen ästhetischer Verfahren des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zu lesen. Diese Verfahren in der hier vorgeführten Form als romantisch zu bezeichnen, markiert einen wesentlichen Punkt. Das mit einer stärkeren semantischen Äquivalenz von Phänomenen und Begriffen zu plausibilisieren, wäre anschließenden Untersuchungen sicherlich zugutegekommen.
Die Anordnung der Kapitel geht von dem gewohnten Gang der Gegenstandsdefinition über theoretische und historische Ausführungen zu der eigentlichen Textarbeit. Die Phänomene bzw. Texte wurden wohl wegen topischer Ähnlichkeit ausgewählt – ansonsten folgt eine explizite Begründung nicht. Dass die Ausführungen mit Ahnung und Gegenwart in den Skywalks münden, mit denen sie auch beginnen, bildet einen strukturierenden Rahmen. Warum die im Zentrum der Kapitel stehenden Texte gerade repräsentativ für romantische Metaphern des Commercium-Problems sind und in welcher Relation diese Metaphern zueinanderstehen, bleibt offen. Sowohl die Mehrdeutigkeit als auch das ästhetische Potential dieser Metaphern wird im Verlauf der Studie herausgestellt. Ob es sich dabei um eine Metapher oder um verschiedene Metaphern handelt, ob das Commercium-Problem selbst eine Metapher ist, ob es eine oder mehrere romantische Metaphern dieses Problems gibt, bleibt bis zum Schluss hin unterbestimmt (vgl. 3). Dabei wäre es doch gerade für Leser*innen hilfreich, mit begrifflicher Arbeit eine Distinktion der Phänomene herzustellen, eine Form zu wählen, die Distanz zu dem Diskurs herstellt, anstatt ihn zu wiederholen (vgl. 28). Das titelgebende „Alles ist eins“ bleibt aber gleichsam Methode und Präsentationsform: Alles hat mit allem zu tun.
In der metaphorologischen Studie wird bewusst mit einer Vielzahl von rhetorischen Mitteln gearbeitet, die von Bonmots und Wortspielen über sprachliche Bilder bis hin zu aktuellen Ausdrücken aus dem Englischen reichen, z. Bsp. „Die Medien-Analyse mag ihre Begriffe verflüssigen, bis sie schäumen“ (517). Stilistisch kennzeichnet den Text einerseits ein hoher Abstraktionsgrad und andererseits eine suggestive, assoziative und bewusst alltagsnahe Sprache. Die damit erzeugten Analogien kündigen eine Evidenz an, die nicht immer überzeugt: „[…] das liegt auf der Hand […]“, (235) „die alle […] sozusagen metaphorologischer sind als Blumenberg selbst“ (266). Dass die Assoziation ein produktionsästhetisches Mittel der Studie gewesen ist, machen sowohl die poetischen Zwischenüberschriften als auch die sprunghafte Vernetzung verschiedener Phänomene deutlich. So bringen beispielsweise Kapitel sechs und zehn philosophische sowie theoretische Konzepte, literarische Texte und Gegenwartsphänomene zusammen, deren semantische Ähnlichkeit Einheit stiftet, deren Differenzqualitäten aber ungenannt bleiben. Der Feldweg als Medium und Metapher des Philosophen Heidegger, zwei literarische Figuren, die auf Bäume klettern, und Skywalks sind ähnlich, aber die Unterschiede zwischen philosophischer Methode, literarischem Text und touristischer Attraktion sind doch ebenso gegeben. Dass Skywalks und die von Red Bull gesponsorten Extremsportarten Kommerzialisierungsstrategien mit Qualitäten einer romantischen Ästhetik sind, bleibt ganz außen vor.
Zudem überzeugt die Kritik an Blumenbergs absoluter Metapher nicht. [1] Als zu gering wertet der Verfasser die Bedeutung von Kunst in Paradigmen zu einer Metaphorologie. [2] In einem wiederholt angeführten Zitat von Blumenberg (vgl. 78, 91) wurde eine wesentliche Stelle ausgelassen: Es ist im Sinne Blumenbergs nicht müßig, nach dem Sein der Welt zu fragen, sondern „seit Kant“ ist diese Frage müßig – obwohl weiterhin danach gefragt und Aussagen darüber getroffen werden, weshalb gerade eine Metaphorologie nötig sei (vgl. Blumenberg 2013, 29, Z. 26–30, 30, Z. 21–23). [3] Das Adjektiv absolut in dem Konzept absolute Metapher kann für unübersetzbar stehen. Damit ließe sich im Sinne der Studie die absolute Metapher als unbegrifflicher Ausdruck verstehen. Das Adjektiv absolut verweist aber darüber hinaus auf die Semantik dessen, wofür diese Metapher steht: für Ganzheiten, Totalitäten, Unbedingtes, deren „Kontextresistenz unüberwindbar erscheint“ (Blumenberg 2007, 65) – um ein Beispiel von Heinrich Heine mit Blumenberg zu zitieren: „Die Welt ist ein Viehstall […].“ (Blumenberg 1979, 54) Warum zunächst das Konzept absolute Metapher durch seine Widersprüchlichkeit ausgehebelt (vgl. 83) wird, um es dann unterschwellig wieder zu installieren (vgl. 97), bleibt unverständlich. [4] Blumenberg gar als logizistischen Cartesianer zu beschreiben, greift ebenfalls zu kurz. Ein Philosoph, der zum Kernbestand der Philosophie ihre ästhetische Seite zählt und die Grenzen des Sagbaren aufzeigt, ist wohl kaum nur Diskurspolizist (vgl. 88).
Auch ist der Umgang mit Forschungsliteratur nicht kohärent: Teilweise werden, wie im Zusammenhang mit Ahnung und Gegenwart, zentrale Sekundärquellen angeführt und kritisch diskutiert (vgl. 519, 610) – in den anderen analytischen Kapiteln jedoch nicht. Zeitgenössische Tendenzen der Romantikforschung werden nicht erwähnt. Das gilt gleichfalls für eine ältere Romantikforschung, die ästhetische Konstruktionen von Totalität untersucht wie bspw. Karl Heinz Bohrers Studien zur Plötzlichkeit, Walter Benjamins Dissertation sowie L’Absolu littéraire von Philippe Lacoue-Labarthe und Nancy. Auch die neuplatonische, frühmittelalterliche und bis zum Spinozismus sich erstreckende Tradition eines Denkens des Ganzen bleibt unerwähnt.
Zuletzt habe ich nicht verstanden, was das zugrundeliegende Konzept von Begriff ist und wann das im Zentrum stehende Medium Begriff oder Metapher ist. So heißt das dritte Kapitel Literarische Grundbegriffe des Mediums. Dass Landschaft sowie das Verhältnis von Teil und Ganzem (ist ein Verhältnis ein Begriff?) zu diesen Grundbegriffen zählen, geht implizit aus den Ausführungen hervor. Darüber hinaus ist aber auch von Kleists Sternenkarte die Rede, die wohl nicht (oder doch?) zu den Grundbegriffen des Mediums gehört. Die Lesenden zu orientieren, unterwandert auch folgende Verweisstruktur, die wie ein unvollständiger Link ins Leere läuft: Die leider gängige Phrase „[d]as habe ich oben ausgeführt“ (443) ist bei einem knapp 800 Seiten starken Werk ohne expliziten Verweis für die Lesenden nicht hilfreich, wenn sie textimmanente Bezüge und Argumentationszusammenhänge nachvollziehen möchten.
Die Romantische Metaphorologie des Mediums eröffnet weitere Zugänge zu den Dispositiven psychoanalytischer, philosophischer und literaturwissenschaftlicher Ansätze sowie populärkultureller Phänomene. Dafür werden gängige Quellen der Romantikforschung wie Schillers Geisterseher und Eichendorffs Ahnung und Gegenwart mobilisiert sowie seltene bis gar nicht frequentierte Quellen erschlossen. Der Umfang der Untersuchung und die Wechsel der Untersuchungsgegenstände zeugen von einer vielseitigen Analogiebildung zwischen verwandten ästhetischen Phänomenen und dem Höhenkamm literaturwissenschaftlicher Theorie. Dieses reizende Gewebe hat mit seinen Ironien, Brüchen und Rekursen unbedingt Beifall verdient. Man kann nur erahnen, wieviel intensive Arbeit dieser formal und inhaltlich komplexen Komposition vorausgegangen sein muss, die zu honorieren in unserem Fach leider nicht an der Tagesordnung ist.
Reszension verfasst von Hendrick Heimböckel
Die Rezension ist unter dem nachfolgenden Link dauerhaft abrufbar: https://doi.org/10.22032/dbt.61387