Martin Reulecke
Caroline Schlegel-Schelling
Rezeptionsgeschichte und Bibliographie
Der in der 2. Auflage überarbeitete und aktualisierte Band Caroline Schlegel-Schelling. Rezeptionsgeschichte und Bibliographie schildert, wie Zeitgenossen und spätere Leserinnen und Leser nicht nur das umfangreiche Briefwerk der Frühromantikerin, sondern eng damit verknüpft auch die Persönlichkeit und das Leben der Autorin analysieren und bewerten. Das vorliegende Buch verdeutlicht dem Leser eindringlich, wie sehr Caroline Schlegel-Schelling bereits zu Lebzeiten, aber auch weit darüber hinaus, polarisierte.
Zunächst geht der Band auf Caroline Schlegel-Schellings Mainzer Zeit ein und begründet, warum sie bereits zu Lebzeiten eine vieldiskutierte Persönlichkeit war. Denn neben einer unehelichen Schwangerschaft fiel Caroline Schlegel-Schellings Zeit in Mainz mit der Besetzung der Stadt durch französisch-revolutionäre Truppen zusammen. Aufgrund ihrer Bekanntschaft mit Mainzer Revolutionären wurde sie Ende April 1793 von preußischen Truppen verhaftet. Martin Reulecke verdeutlicht, „dass Carolines Ruf durch ihre Mainzer Zeit, die sie hauptsächlich im Kreise des Weltumseglers und Jakobiners Georg Forster verbrachte und mit ihrer fast zum Spektakel ausartenden Festnahme endete, nach den damaligen Maßstäben so gut wie ruiniert war.“ (S. 14) Auch als verheiratete Caroline Schlegel konnte sie diesen in der damaligen Gesellschaft als Makel geltenden Teil ihres Lebens nicht aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit löschen. Zehn Jahre später, nach der Scheidung von August Wilhelm Schlegel und der Heirat mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, konnte man ihren Lebenswandel erneut als skandalös ansehen.
Die Darstellung der Rezeptionsgeschichte beginnt mit der Erstveröffentlichung der Briefsammlung im Jahr 1871. Der Historiker und Schwiegersohn Schellings, Georg Waitz, hatte die Briefsammlung nach eignen Angaben innerhalb von 20 Jahren zusammengestellt und veröffentlichte seine zweibändige Edition unter dem Titel Caroline. Martin Reulecke zeigt anhand einiger Beispiele, wie differenziert die mit der Veröffentlichung der Briefe beginnende frühe Caroline-Rezeption war. Deutlich wird, dass es Caroline-Verehrer gab, viele Leser Caroline als Person aber auch ablehnten. Der Philologe Wilhelm Scherer ließ sich zu regelrechten Huldigungen der Romantikerin hinreißen. Jedoch wird auch von den Verehrern, zu denen auch Rudolf Haym und Michael Bernays zählten, Carolines Mainzer Zeit als problematisch angesehen. Sehr deutlich wird, dass die literarische Qualität der Briefe als hoch eingeschätzt wurde, die Urteile über Carolines Persönlichkeit jedoch ambivalent ausfallen. Reulecke dokumentiert, wie stark sich die Ambivalenz und Verflechtung von Hochschätzung der Briefe und Skepsis gegenüber der in diesen zum Ausdruck kommenden Lebensführung und Persönlichkeit bis heute durch die Rezeptionsgeschichte der Romantikerin ziehen.
Beim Lesen des Bandes zeigt sich, dass zu Beginn der Rezeptionsgeschichte die Briefe Carolines von männlichen Rezipienten gelesen und beurteilt werden. Als eine der ersten weiblichen Rezeptionen verweist Martin Reulecke auf Ricarda Huchs 1899 veröffentlichten Titel Blütezeit der Romantik. Martin Reuleckes Buch vermittelt dem Leser die Begeisterung des männlichen Publikums gegenüber Caroline Schlegel-Schelling, betont aber auch die Ablehnung des weiblichen. Reulecke führt hierzu ein eingängiges Zitat Wilhelm Scheres über Caroline Schlegel-Schelling an: „die ‚Sympathien der Damen‘ habe sich Caroline ‚nach ihrem Tode so wenig wie im Leben zu erwerben gewußt‘“. (S. 34) Trotzdem trug Ricarda Huch, so der Autor, durch ihre Rezeption zu einer Popularisierung der Romantikerin bei.
Neben den ersten beiden Rezeptionshöhepunkten der Caroline-Rezeption, die Reulecke in den 1870er Jahren sowie in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg einordnet, kommt eine dritte Hochphase in den 1970er Jahren hinzu. Neben einer Briefsammlung werden in diesen Jahren Biografien, Romane und Erzählungen sowie eine Dissertation veröffentlicht. Ab 1979 wird in der Caroline-Rezeption zudem die Frage nach Caroline Schlegel-Schellings Bedeutung für die Frauengeschichte gestellt. Bemerkenswert ist, dass auch aus einer weiblich-emanzipatorischen Sichtweise nicht nur Bewunderung, sondern auch Kritik erwächst. Reulecke sieht die „Kehrseite dieser zwischen programmatischer und persönlicher Identifikation changierenden Haltung“ darin, „dass jeder Aspekt, bei dem sich partout keine ‚Nähe‘ zwischen der jeweiligen Rezipientin und Caroline einstellen will, mehr oder weniger enttäuschte Kritik nach sich zieht.“ (S. 48) Weiter verweist das Buch auf die Jahre 2009 und 2013, in denen einige Biografien zu Caroline Schlegel-Schelling erschienen, deren Vor- und Nachteile von Martin Reulecke dargelegt werden. An den Arbeiten von Brigitte Roßbeck, Babara Sichtermann und Sabine Appel hebt der Autor die Darstellung Carolines als aktiv gestaltendes Mitglied der Jenaer Frühromantik und ihre Bedeutung für den Kreis positiv hervor, kritisiert jedoch das Fehlen einer gewissen Detailtiefe.
Deutlich zeigt der Band, dass es vielen Rezipientinnen und Rezipienten im 20. Jahrhundert weniger um die literarische Qualität der Briefe ging, sondern Caroline Schlegel-Schelling als Persönlichkeit im Zentrum des Interesses stand. Letztlich geht Martin Reulecke in seiner Monografie der Frage nach der Werkhaftigkeit der Briefe nach. In einem Ausblick schätzt der Autor den momentanen Stand der Caroline-Rezeption ein und fordert eine den gegenwärtigen methodischen Anforderungen entsprechende Erstellung einer kritischen Gesamtausgabe. Zudem weist er darauf hin, dass bis heute keine Biografie von Caroline Schlegel-Schelling publiziert wurde, die wissenschaftlichen Ansprüchen genüge. Außerdem sei „Carolines Rolle im Rahmen des frühromantischen Diskurses bisher nur oberflächlich bestimmt worden, und eine gründliche Auswertung ihrer Positionierung in entsprechenden Detailfragen fehl[e] noch vollständig.“ (S. 70)
An die Darlegung der Rezeptionsgeschichte schließt sich eine umfangreiche Bibliografie zu Caroline Schlegel-Schelling an. Die Bibliografie gliedert sich in die Abschnitte Briefeditionen, Werke und Schriften, Biographische Texte, Literarische Lebensbeschreibungen, Texte zu Werk und Wirkung, eine Auswahl von Lexikonartikeln sowie Nachträge zur ersten Auflage. Letztlich schließt die Bibliografie der zweiten, überarbeiteten und aktualisierten Auflage des Bandes mit einer Übersicht neuer Veröffentlichungen zu Caroline Schlegel-Schelling nach 2010. Gelungen ist Martin Reulecke die Verbindung von Rezeptionsgeschichte und biografischen Erklärungen. Vermissen lässt der Band allerdings den Abdruck einiger exemplarischer Briefe der Autorin, die das Gesamtbild des Bandes abgerundet hätten. Bezüglich der Zielsetzung hält der Band, was er verspricht: Er liefert dem Leser „einen Überblick über die seit der ‚Entdeckung‘ Carolines veröffentlichte einschlägige Literatur“ (S. 10).
Rezension verfasst von Theresa Brehm
Die Rezension ist unter dem nachfolgenden Link dauerhaft abrufbar: https://doi.org/10.22032/dbt.61416