Jacob Burda

Das gute Unendliche in der deutschen Frühromantik

J.B. Metzler 2019

Spätestens seit Hegels Polemik gegen die Brüder Schlegel (in seinen Vorlesungen über die Ästhetik) haftet der Frühromantik das Verdikt eines weltfremden Absolutheitsstrebens an, das, gerade weil es zu keinem Ziel kommt, in einem Zustand resignativer Untätigkeit endet. Die für einen Teil der Forschung folgenreiche Deutung Manfred Franks hat dieses Romantikbild bestätigt, wenn auch positiver gewertet. Frank führt das Programm der Frühromantiker auf deren Kantrezeption zurück, namentlich auf die Unterscheidung zwischen ‚Erscheinung‘ und ‚Ding an sich‘. Anders als der Idealismus glaubt das frühromantische Subjekt an eine absolute Wirklichkeit außerhalb seiner selbst, kann diese aber nur suchen, niemals finden und macht sie so zum Gegenstand einer ‚unendlichen Annäherung‘.

Gegen diese in der Folge Franks entstandene „übliche Lesart der deutschen Frühromantik“ (S. XIII) richtet sich die zunächst auf Englisch und nun auf Deutsch erschienene Dissertation Jacob Burdas über das gute Unendliche in der deutschen Frühromantik. Den Deutungsmustern der „unerfüllte[n] Sehnsucht“ und „unendliche[n] Annäherung“ (S. XIII) setzt das Buch eine „‚versöhnliche Lesart‘“ entgegen, „nach der die Romantiker eine harmonische Beziehung zwischen uns und der Welt befürworten“ (ebd.). Diese Versöhnungsidee bringt Burda auf die Formel jener „‚guten Unendlichkeit‘“, die man zwar eigentlich mit Hegel assoziiert, die aber die Frühromantiker laut Burda „vorwegnahmen“ (ebd.). Von dem „unerreichbaren Unendlichen“ (S. 2) unterscheidet sich die gute Unendlichkeit dadurch, dass in ihr das „Endliche und das Unendliche vereint sind statt in Gegensatz zueinander zu stehen“ (ebd.). Wie die Synthese von Endlichem und Unendlichem erfolgen soll, zeigt das zweite Kapitel, in dem die Romantik als „eine Form der Phänomenologie“ (S. 10) beschrieben wird. Die Romantiker unterscheiden sich von einem Dualismus im Sinne Kants darin, so Burda, dass sie „nicht […] am Begriff des Ding-an-sich festhalten“ (S. 30), sondern eine immanente Einheit der Phänomenwelt postulieren und damit bereits im 18. Jahrhundert eine Position vertreten, die viel später „Martin Heidegger“ in seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ (S. 31) ausformulieren sollte.

Die Romantik vom Stigma der Wirklichkeits- und Weltverachtung zu befreien, ihre versöhnlichen Züge zu betonen und sie darüber hinaus mit der zeitlich weit entfernten Phänomenologie Heideggers in Verbindung zu bringen, ist ein ambitioniertes und originelles Unterfangen. Indes schlägt die versöhnungsorientierte Lektüre bei Burda aufs Konto der Konfliktbeschreibung und die historische Entgrenzung geht zu Lasten differenzierter Textanalysen. So liegt Burda zwar darin richtig, dass Schlegel mit seiner Rede vom ‚inneren Leben‘ (in Die Entwicklung des inneren Lebens) auf die immanente Erfahrbarkeit des Unendlichen zielt. Die frühromantische Poetik der Rätsel und Andeutungen, durch die das eigentlich Gemeinte einerseits postuliert, andererseits verunklart wird, entgeht ihm dabei aber. Dezidiert spricht Schlegel hinsichtlich der Frage, wie das Subjekt Zugang zum ‚inneren Leben‘ findet, von einem „Rätsel“, dessen Auflösung man nicht ausbuchstabieren, allenfalls „andeuten“ (ebd.) kann. Solche Formulierungen unterscheiden frühromantische Texte von der Eigentlichkeitsprosa Heideggers. Nicht nur in der Formensprache, sondern auch in der intellektuellen Programmatik unterschlägt Burda zudem einen kardinalen Unterschied. Während Heidegger, wie Burda mit Sloterdijk richtig beschreibt, eine Philosophie ‚nach Gott‘ formuliert und alle Evidenz aus dem immanenten ‚Sein‘ selbst bezieht, ist für die Romantiker die transzendente Sinngebung nicht in gleicher Weise erledigt. Kants ‚regulative Ideen‘ sind für die Romantiker gerade deshalb ein attraktives Angebot, weil diese bereits den Versuch darstellen, Elemente der traditionellen theologischen Metaphysik zu rehabilitieren und gegen den Empirisierungstrend der Zeit in Stellung zu bringen. Es ist schon richtig, dass für die Romantiker das „‚Gefühl‘ […] eine viel größere Rolle“ spielt „als für Kant“ (S. 30). Im Medium des Gefühls können die bei Kant bloß regulativen Postulate wie ‚Gott‘, das ‚Absolute‘ oder das ‚ganze Ich‘ momenthaft erahnt werden. Indes übergeht Burda die erkenntniskritischen Einschränkungen, mit denen insbesondere bei Novalis das Gefühl oder ‚Selbstgefühl‘ versehen werden, so etwa, wenn er in den Fichte-Studien über die „Grenzen des Gefühls“ nachdenkt, die gleichzeitig die „Grenzen der Filosofie“ sind, oder anmerkt, dass das „Gefühl […] sich nicht selber fühlen“ und damit in kein nachhaltiges reflexives Bewusstsein überführt werden kann.

Im dritten Kapitel wendet sich Burda Novalis’ Hymnen an die Nacht zu. Treffend merkt er an, dass die Nacht in diesem Text als Erfahrungsmodus poetisiert wird, bei dem das Ich aufhört, „zwischen Dingen zu unterscheiden“ und die „Welt“ als eine „grenzenlos[e]“ erlebt (S. 56). Auch bemerkt Burda, dass es dem Text nicht darum geht, diesen nächtlichen Erfahrungsmodus zu verabsolutieren, sondern ihn zum Teil „unserer alltäglichen Welt“ (ebd.) zu machen und damit lebenspraktisch zu integrieren. Dass der Text auch die Schwierigkeiten dieser Integration kommuniziert, wird von Burda aber nicht gesehen. Völlig uninterpretiert bleibt der Umstand, dass hier zunächst ein Ich von der Sphäre des Tages aus spricht und sich erst in einem zweiten Schritt der Nacht zuwendet. Das Ich, so hätte man diese Sprecherkonstruktion deuten können, repräsentiert ein aufgeklärt-differenziertes Bewusstsein, das den Blick zwar auf eine differenzlose metaphysische Einheit richtet, dabei aber an erkenntnis- und sprachbezogene Grenzen stößt. Diese Grenzen kommuniziert bereits die erste Hymne, wenn sie die Nacht als „Mantel“ verbildlicht, dessen verhüllter Inhalt zwar „kräftig an die Seele geht“, aber doch gleichzeitig „unsichtbar“ und „unaussprechlich“ bleibt. Was die Nacht im Kern ausmacht, lässt sich weder sehen noch sagen und deshalb nur schwerlich in das aufgeklärte Bewusstsein integrieren.

Im vierten Kapitel zur romantischen Methodologie wendet sich Burda unter anderem Hölderlin zu. Dass dieser Autor so umstandslos den Frühromantikern zugerechnet wird, überrascht. Zumindest hätte sich Burda einmal mit der Forschung auseinandersetzen können, in der die Stellung Hölderlins zu den Frühromantikern seit langem kontrovers diskutiert wird. Anhand der von ihm sehr kurz behandelten Elegie Brod und Wein hätte er die deutlichen Abweichungen Hölderlins von der Romantik gut darstellen können. Insbesondere im Vergleich zu Novalis’ Hymnen fallen das viel idealistischere Antikebild, die ungebrochenere Emphase des Ichs und die klassischere Formensprache bei Hölderlin geradezu ins Auge. Weil Burda in dieses und andere Hölderlingedichte aber eher reinschnuppert als sich analytisch vertieft, gehen ihm solche Differenzen durch die Lappen.

Wie ein Blick in das nur anderthalbseitige Sekundärliteraturverzeichnis zeigt, hat sich Burda mit der umfassenden und reichhaltigen Romantikforschung der letzten Jahrzehnte nicht auseinandergesetzt. Insbesondere die jüngere Forschung zu Schlegel und Novalis fehlt hier völlig. Dass Burda gegen eine „übliche Lesart“ der Romantikforschung anschreiben will, ist löblich. Indes kann man sich fragen, ob Manfred Franks kantianische Romantikdeutung überhaupt ‚übliche Lesart‘ ist oder nicht schon seit Jahrzehnten mit einer sinnes- und körperpoetologischen Auslegung konkurriert, die ihre Bezüge eher in der nichtkantischen empirischen Spätaufklärung findet. Eine Positionierung im Spannungsfeld bestehender Deutungen hätte die argumentative Kontur des Buches geschärft und seinem bisweilen eindimensionalen Tenor produktiv entgegengewirkt.

Hinsichtlich der Auseinandersetzung mit den Primärtexten wäre weniger Streifzug und mehr frühromantische Suchbewegung gut gewesen. Das Buch hat schöne Einfälle und Gedanken, die sprachlich auch überwiegend gut präsentiert werden. Indem Burda aber über viele der behandelten Texte nur flüchtig hinweggeht, wirkt seine Studie wie der Spaziergang eines Autors, der dann doch lieber schnell nach Hause will, bevor er sich im Dickicht der Geisteshistorie verirrt. Die Monographie wird in der deutschen Übersetzung von Bazon Brock eingeleitet und enthält am Ende eine Replik von Manfred Frank. Ob das im Ansatz ja sehr selbstständige Buch dieses gönnerhafte Geleit braucht, sei dahingestellt.

Rezension verfasst von Jens Ole Schneider

 

Die Rezension ist unter dem nachfolgenden Link dauerhaft abrufbar: https://doi.org/10.22032/dbt.61457

Das gute Unendliche in der deutschen Frühromantik