Laurie Ruth Johnson
Forgotten Dreams
Revisiting Romanticism in the Cinema of Werner Herzog
Fragt man Werner Herzog nach den Traditionen, in denen sein Schaffen wurzelt, verweist der Filmemacher gerne auf die klassische Antike als wichtige Quelle der Inspiration. Dass dieser Einschätzung jedoch zu misstrauen ist, versucht Laurie Ruth Johnson – gegenwärtig Professorin für German Languages and Literature an der University of Illinois – in ihrer Studie Revisiting Romanticism in the Cinema of Werner Herzog herauszuarbeiten. Johnsons Buch repräsentiert den vorläufigen Höhepunkt ihrer Bestrebungen, das Werk des Filmemachers gegen dessen Selbstdeutung in der Tradition der deutschen Frühromantik zu lesen beziehungsweise als ‚neu-romantisch’ zu klassifizieren. Die Autorin führt damit Anregungen weiter, die insbesondere durch die Publikationen des Herzog-Spezialisten Brad Prager Eingang in die US-amerikanische Forschung gefunden haben. Seinem Ansatz zeigt sich Revisiting Romanticism dabei in zweierlei Hinsicht verwandt. Zum einen, insofern die Studie anhand von fünf Themenschwerpunkten der Adaption romantischer Ideen und Motive in Herzogs Spiel- und Dokumentarfilmen nachspürt und dabei das Schaffen des Regisseurs vom Beginn der siebziger bis in die Zehner-Jahre des gegenwärtigen Jahrhunderts in den Blick nimmt. Zum anderen, als Johnson ebenso das Verständnis für die historische Romantik erweitern möchte (vgl. S. 3). Dies vor allem insofern, als sie gegen deren einseitiges Verständnis als konservativ und eskapistisch opponiert beziehungsweise einer solchen Lesart die frühromantischen Akteure als Vertreter eines „critical thinking“ (S. 2) entgegensetzt. Revisiting Romanticism versucht also, eine doppelte Argumentationsperspektive zu entwerfen: Das historische Phänomen und Herzogs Filme sollen ineinander gespiegelt und derart ihre Wahlverwandtschaft vor Augen geführt werden.
Im Fluchtpunkt dieses Erkenntnisinteresses ergibt sich eine Nähe zwischen Johnsons Veröffentlichung und Forschungsansätzen im deutschsprachigen Raum. Das gilt im besonderen Maße mit Blick auf das methodische Profil des Jenaer Romantik-Kollegs, das nach ‚Variation, Reichweite und Aktualität’ der um 1800 virulenten Ideen und Gestaltungsstrategien fragt. So ist die in dessen Zusammenhang entwickelte Analyseheuristik des ‚Modells‘ geeignet, die Perspektive von Johnsons Studie (die dieses Konzept nicht kennt) zu prüfen. Denn das Nachdenken über die Funktionsweise von Modellen sensibilisiert für die neuralgischen Punkte des Ansatzes der Autorin und bietet die Grundlage zur Entwicklung eines Bewertungsmaßstabes der in Revisiting Romanticism angeführten Belege für den ‚neu-romantischen’ Charakter von Herzogs Kino. Zu den analytischen Grundvoraussetzungen gehört die Identifikation eines spezifischen Merkmalsbündels. Daraus folgt nichts anderes, als dass die Güte der Qualifizierung eines Werks als ‚romantisch’ maßgeblich davon abhängt, inwiefern die zur Begründung dieser Qualifizierung herangezogenen Merkmale als exklusiv ‚romantisch’ gelten können. Ein Beispiel: Es wäre unzureichend, die Gattung der Lyrik und das Thema der Liebe als die beiden hinreichenden Merkmale romantischer Ästhetik zu identifizieren. Dies würde nicht nur an der Variabilität der historischen Schöpfungen vorbeigehen, sondern diese nur unzureichend von einer Vielzahl an Barock-Gedichten und gegenwärtiger Schlagermusik abgrenzen. Die Plausibilität von Johnsons Klassifizierung des Herzog’schen Œuvres als ‚neu-romantisch’ hängt also maßgeblich von der Spezifizität der Grundlagen ab, auf denen sie ihren Vergleich zwischen den Filmen des Regisseurs und dem um 1800 entwickelten Kunstprogramm aufbaut.
Blickt man vor diesem Hintergrund zunächst auf die Ausführungen Johnsons zur historischen (Früh-)Romantik, lässt sich feststellen, dass der Autorin eine überzeugende Darstellung gelingt. So entwirft sie, unter anderem in Anschluss an Überlegungen Manfred Franks, das Bild eines insbesondere auf die Philosophie Kants reagierenden Kunstprogramms, für das die Perpetuum mobile-gleiche Konfrontation zwischen absolutem Erkenntnisanspruch und der Betonung von Erkenntnisvorbehalten fundamental ist (vgl. u. a. S. 5). Dieser, für die Romantik wesentliche Gestus des immer nur Vorläufigen wird von Johnson zudem als Strategie des Ironischen klassifiziert beziehungsweise mit Darstellungsformen wie dem Fragment und der Arabeske in Verbindung gebracht (vgl. u. a. S. 7). Als kleinere Mankos sind demgegenüber lediglich die Überbetonung der rationalistischen Tendenzen der Aufklärung (vgl. u. a. S. 8) sowie die ausschließlich negative Bewertung der Spätromantik zu nennen (vgl. u. a. S. 6).
So solide Johnsons Darstellung der historischen Grundlagen des in Revisiting Romanticism angestrebten Vergleichs ist, so problematisch erscheint die Methodik der Durchführung. Dies zum einen, weil die Autorin im Zuge der Argumentation immer wieder Akteure zur Untermauerung ihrer Wahlverwandtschafts-These heranzieht, die sich nicht ohne Weiteres der romantischen Strömung zuschlagen lassen. Als Beispiel sei hier nur auf Karl Philipp Moritz und das maßgeblich durch diesen popularisierte Konzept der Kunstautonomie verwiesen, das Johnson unter anderem im Rahmen ihrer Analyse von The Wild Blue Yonder bemüht (vgl. u. a. S. 37). Zwar ist es sicherlich richtig, dass Verbindungslinien zwischen dessen Werk und der Romantik gezogen werden können, gleiches lässt sich jedoch ebenfalls für andere künstlerische Positionen der Zeit konstatieren. In diesem und vergleichbaren Fällen (etwa der Herder verpflichteten Fitzcarraldo-Lektüre) begnügt sich die Autorin lediglich mit allgemeinen Verweisen auf ein bestehendes Einflussverhältnis (vgl. S. 49). Hier wäre zur Plausibilisierung ein argumentativer Mehraufwand notwendig gewesen, der in Revisiting Romanticism nicht geleistet wird.
Als Hauptschwäche von Johnsons Studie muss der Umstand gelten, dass die von ihr gewählten Vergleichsgrundlagen viel zu unspezifisch sind, als dass sie eine Klassifizierung von Herzogs Filmen als ‚neu-romantisch’ plausibel machen könnten. So gründen die Analogien, die ihre Studie etwa im Falle von Cave of Forgotten Dreams zwischen der Malerei Caspar David Friedrichs und den Arbeiten des Regisseurs herstellt werden, vor allem auf dem Umstand, dass in beiden Fällen die (mediale) Vermitteltheit des Sehens zum Thema gemacht wird (vgl. u. a. S. 21). Abgesehen davon, dass Johnson methodische Problematiken außen vor lässt, die sich bei einem Vergleich über Mediengrenzen hinweg ergeben, ist das Moment der visuellen Selbstreferentialität keines, das exklusiv der romantischen (Landschafts-)Malerei zukommt. Dieses spielt, um ein historisch etwas entfernteres Gegenbeispiel anzuführen, für die Verkündigungs-Darstellungen Filippo Lippis (1406–1469) ebenso eine zentrale Rolle. Ähnliches gilt für die Verbindung, die Johnson, unter anderem am Beispiel von Death for Five Voices, zwischen Herzogs Filmen und den romantischen Kunstwerken mit Blick auf die Art und Weise des Traditionsbezuges knüpft. So ist die von ihr als Tertium Comparationis identifizierte „gesture of seeking past genius and repurposing it for the present“ (S. 183f.) etwas, das die europäische Kunst eigentlich seit ihren Anfängen auszeichnet. Auch in diesem Fall kann also nicht davon die Rede sein, dass die in Johnsons Studie aufgerufene Vergleichsgrund-lage das notwendige Maß an Spezifizität erfüllt, um eine Klassifizierung des Herzog’schen Kinos als ‚neu-romantisch’ plausibilisieren zu können. Insgesamt bleibt Revisiting Romanticism also den zwingenden Nachweis eines Fortwirkens des ‚Modell Romantik’ im Werk eines der wichtigsten deutschen Gegenwartsregisseure schuldig.
Die Rezension ist unter dem nachfolgenden Link dauerhaft abrufbar: https://doi.org/10.22032/dbt.59649