John Havard

Late Romanticism and the End of Politics

Byron, Mary Shelley, and the Last Men

Cambridge University Press 2023

Die Diagnose vom ›Ende‹ besitzt eine jahrhundertealte Anziehungskraft. Doch in Zeiten, in denen Konsumverhalten, wie Identität(en) zunehmend politisiert werden und die Welt sich in einem neuen geopolitischen Systemkonflikt befindet, mag der Titel „End of Politics“ irritieren. Besonders dann, wenn er mit der Spätromantik ins Verhältnis gesetzt wird, die im deutschen Kontext doch oftmals gerade als Ausgangspunkt für die Untersuchung völkisch-nationalistischer Tendenzen in den Blick genommen wurde.

Der Anglist John Havard macht aber ein ganz anderes spätromantisches Erbe zum Gegenstand, um auf die vertraute Vorstellung zu reflektieren, „that the world as we know it will come to an end.“ (S. 2) Es sind die Schriften von Lord Byron, Mary Shelley und ihrem Zirkel, deren, so die zugrundeliegende Annahme, Vorstellungen vom Weltende mit zwei Jahreszahlen verbunden sind: 1815, mit Großbritanniens Sieg über Napoleon, und dem Great Reform Act 1832. Havards Interesse richtet sich weniger auf eine ideengeschichtliche oder biographische Rückbindung der Schriften. Er formuliert den Anspruch, die literarische Auseinandersetzung mit verschiedenen Zeitlichkeiten und Vektoren des Wandels („multiple temporalities and vectors of change“ (S. 3)) des Politischen aufzuzeigen. Daher zielt die Studie nicht nur darauf, das spätromantische Werk Byrons und Shelleys als Reaktion auf die sich schließenden politischen Horizonte zu lesen, sondern auch zu fassen, welche alternativen Möglichkeiten und Ziele des politischen Regierens hier eröffnet werden.

Dieses Vorhaben ist innovativ und provokativ zugleich: Emphatisch fasst es Literatur als imaginären Raum, in dem die Welt neu gedacht werden kann. Gleichzeitig hebt es die Dringlichkeit und Notwendigkeit dieser literarischen Potenz hervor, die bestehenden Verhältnisse, allen voran das politische System, radikal infrage zu stellen. Damit verfolgt Havard einen politischeren Ansatz als es in den bisherigen Untersuchungen zur Apokalyptik in der Englischen Romantik üblich ist. Obwohl die Studie Apocalypse and Millennium in English Romantic Poetry (1999) von Morton D. Paley unerwähnt bleibt, kann die vorliegende Schrift als eine wichtige Weiterentwicklung der Forschungsintention Paleys begriffen werden. Während in der bisherigen Forschung vor allem auf den frühromantischen Entwicklungen und ihre chiliastischen wie apokalyptischen Verarbeitungen der mit der Französische Revolution verbundenen Hoffnungen und Enttäuschungen im Zentrum stehen, richtet Havard den Blick auf ‚das Danach‘– auf die spätromantischen Fantasien vom Weltende und einem Neubeginn in Zeiten der Restauration und des Viktorianismus.

Havards Untersuchung gliedert sich in fünf Kapitel, von denen sich die ersten drei den politischen Debatten im England in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts widmen und sie mit dem biographischen, literaturhistorischen und konzeptionellen Rahmen ins Gespräch bringen. Die Arbeit ist weder historisch-chronologisch noch werkzentrisch angelegt, sondern versammelt und diskutiert einen umfassenden Schriftkorpus – sei es Jonathan Swifts Gulliver’s Travels (1726), William Morris’ News from Nowhere (1890), Byrons Childe Harold's Pilgrimage (1812–1818), Cain (1821), Darkness (1816), Don Juan (1824), Mary Shelleys The Last Man (1826), Frankenstein (1819) oder George Eliots Felix Holt (1866) und viele weitere mehr – unter verschiedene Aspekten der politischen Entwicklungen und des Stillstandes.

Doch was bedeutet das ‚Ende der Politik‘? Mit dieser Frage setzt sich Havard im ersten Kapitel auseinander, indem die Konvergenzen und Divergenzen der Untergangsrhetoriken („end of politics“ (S. 32), „end of history“ (ebd.) und „end of the world“ (ebd.)) untersucht werden. Hier erfahren wir, dass das Ende der Politik, nicht mit dem Ende der Welt Hand in Hand gehen muss. Hierzu werden Swifts und Morris‘ utopische Entwürfe, das Ende der etablierten politischen Strukturen zu denken, gegenübergestellt. Swifts Kritik am Bestehenden, „lodged, like sticks of dynamite, into the edifices of the modern world“ (S. 39), wodurch er als misanthropischer Antikapitalist und Ökologiekritiker avant la lettre präsentiert wird. Havards Besprechung von Gulliver’s Travels stellt eine interessante, spezifisch swiftianische Kontinutität bis in die gegenwärtige Anthropozändebatte heraus. Durch eine moralisierende und quasireligiöse Perspektive, die den Menschen als sündhaftes Mängelwesen begreift, das den Untergang verdient, kann die Kritik am Anthropozän schnell in ein „misanthropocene“ (S. 42; Anm. i. O.) umschlagen: „These appeals to the awfulness of mankind and the deserved doom of our species are eminently Swiftian.“ (ebd.) An Morris’ „futuristic ‚Romance‘“ (S. 43) News from Nowhere illustriert Havard hingegen den Versuch, die Trennung zwischen Mensch und Natur in einem vorindustriellen Naturidyll zu versöhnen. Das Ende der Politik liegt hier im verminderten Vergesellschaftungsgrad begründet, der den politischen Interessensausgleich obsolet machen soll. Auch die anschließenden Analysen der spätromantischen Werke scheinen von der sympathisierenden Lektüre der News from Nowhere geprägt – womit sich Havards Metapher an ihm selbst bestätigt, nämlich dass Morris’ Sozialutopie „as vines work their way around the  edifices of half-ruined buildings and the roots of trees work over long expanses of time, to dislodge man-made structures, […] work the way into the mind of […] the book’s reader, gradually eroding resistance an taking root in the cracks.“ (S. 46) Bedauerlicherweise wird die Frage nach dem Zusammenhang vom Ende der Politik und dem der Geschichte nicht konsequent ‚zu Ende‘ gedacht. So ließen sich Morris’ und Swifts Utopien als zwei Seiten einer Medaille begreifen, indem sie mal quasireligiös-misanthropisch, mal naturalisierend-nivellierend die geschichtliche Tat des Menschen vergessen machen.

Havard spannt den Faden vom frühromantischen Naturidyll zur Spätromantik, von William Wordsworth über Mary Shelley zu Byron und überrascht mit einer Relektüre von Byrons Darkness. Gemeinhin als Darstellung einer ersten ‚kupierten‘ Apokalypse begriffen, die eine Hobbesche Vision (homo homini lupus) des Weltuntergang ohne Heilsoffenbarung ausmalt, versteht Havard sie als Konzeption einer neuen Welt, die nicht außerhalb der souveränen Ordnung stehe, sondern ganz ohne sie auskommt: „Byron offers suggestive glimpses of other worlds in the embers of this one, even as that world, paradoxically, no longer exists.“ (S. 58) Diese Deutung verwundert einerseits, weil Byrons Dichtung nicht nur mit dem Stillstand der Welt, sondern mit einem verfinsterten Universum endet. Sie spricht Darkness andererseits auch den Zäsurcharakter für die Prägung einer modernen, fatalistisch-resignativen Apokalyptik ab, obwohl sie gerade aus seiner Enttäuschung über die englische Realpolitik erklärt werden kann.

Das zweite Kapitel, „The Last Whigs“ erlaubt einen umfassenden Einblick in die politischen Grabenkämpfe und schwindende Einflusssphäre in der oppositionellen Whig-Partei. Der Fokus auf den Parlamentarier John Hobhouse macht den Eindruck eines umständlichen Umwegs zu Byron, der als letzter Whig in Szene gesetzt wird. Hier, ebenso wie bei den Shelleys, lässt Harvard eine Kontextualisierung der politischen Aktivitäten der romantischen Kreise vermissen. Die Hintergründe des Peterloo-Massakers, die Percy Shelley im revolutionären (und apokalyptischen) Gedicht Masque of Anarchy verarbeitet, ebenso wie Byrons parlamentarische Reden und seine Parteinahme für den Maschinensturm der frühen Arbeiter:innenbewegung, bleiben Randnotizen und werden – überraschenderweise – nicht dezidiert mit dem ‚End of Politics‘ in Verbindung gebracht. Havards Schwerpunkt liegt hingegen auf der englischen Kolonialgeschichte und dem Abolitionismus und liefert im dritten Kapitel umfassende Einsichten in die parlamentarischen Strategien, mit denen das Ende der Sklaverei hinausgezögert wurde. Mit Henry Brougham und Byron macht Havard auf eine ungewöhnliche Wahlverwandtschaft zwischen zwei Persönlichkeiten aufmerksam, die kaum unterschiedlicher hätten sein können, die jedoch ihr leidenschaftliches Eintreten für die letzten Versklavten vereinte.

Die letzten beiden Kapitel fokussieren sich auf Mary Shelleys The Last Man und Frankenstein. Mit der Kontrastierung von Shelleys Roman und George Eliots Felix Holt gelingt es, die in der Spätromantik und im Viktorianismus diametral entgegengesetzten Darstellungen des „Byronic Politician“ (S. 114) herauszuarbeiten und zu zeigen, wie sich Shelleys Byron von der „figure with political significance and potential“ (S. 114) bei Eliot zum bedauernswerten „political dinosaur“ (ebd.) wandelt. Dies setzt eine tiefgreifende Lektüre des politischen Gehaltes von The Last Man voraus, womit Havard eine große Forschungslücke schließt, da vor allem das erste Buch des Romans bislang relativ unberücksichtigt geblieben ist. Durch die starke Konzentration auf Byron erfahren wir viel über die realpolitischen Hintergründe, die Shelley dazu bewegten, die Figuren Raymond, Ryland und auch Adrian zu konzipieren. Allerdings ergibt sich hierbei oftmals der Eindruck, dass The Last Man stark durch die Byronische Brille und nicht von ‚seinem Ende aus‘ gelesen wird. Dies führt einerseits dazu, dass dem Werk Mary Shelleys seine politische wie philosophische Eigenständigkeit implizit abgesprochen wird und andererseits die schnell als idealistisch verworfenen Einflüsse des Godwin’schen Zirkels unterschätzt werden. Zudem wird nicht betrachtet, wie Shelley in ihrem Roman das erzählerische Verhältnis des Menschen zur Geschichte der Menschheit (und damit auch seiner politischen Institutionen) konzipiert. Immerhin entschließt sich der Protagonist Lionel Verney, die menschliche Gattungsgeschichte niederzuschreiben, die kulturellen Werke zu bewahren und sich nicht in die Waldeinsamkeit zurückzuziehen. Vor diesem Hintergrund hätte sich der humanistische Gehalt von The Last Man und Frankenstein weiter aufschlüsseln lassen, der sich nicht auf die Rehabilitierung des „spirited and impetuous Byron“ (S. 159) beschränkt. Doch hierin liegt, wie zunehmend deutlich wird, das eigene, eigentliche Ziel von Havards Studie: Durch die Wiederentdeckung Byrons das Ende der Politik neu zu denken und seiner herrschaftskritischen – vor allem antikolonialen und antirassistischen – Radikalität zu gedenken. Und das gelingt John Havards Late Romanticism and the End of Politics auf hervorragende Weise.

Rezension verfasst von Jennifer Stevens

 

Die Rezension ist unter dem nachfolgenden Link dauerhaft abrufbar: https://doi.org/10.22032/dbt.61375

Late Romanticism and the End of Politics