Theodore Ziolkowski

Stages of European Romanticism

Cultural Synchronicity across the Arts, 1798–1848

Camden House 2018

Mit Stages of European Romanticism: Cultural Synchronicity across the Arts, 1798–1848 hat der renommierte amerikanische Romantikforscher Theodore Ziolkowski ein ärgerlich innovatives Buch vorgelegt. Das Ärgerliche zuerst: Die dreiunddreißig Einzelanalysen, in denen Ziolkowski auf knappem Raum romantische Literatur, Malerei und Musik aus fünf ausgewählten Jahren beleuchtet, gelangen über eine historische Einordnung, manchmal nur über eine Nacherzählung kaum hinaus. Das Innovationspotenzial dieses Buchs aber liegt in seiner Konzeption: Die international und transmedial angelegte Gegenüberstellung exemplarischer Romantik-Werke liest sich so anregend und erfrischend, dass man sich gelegentlich dabei ertappt, fest etablierte Vorannahmen der eigenen Disziplin über Bord zu werfen. Ziolkowskis Stages of European Romanticism liefert damit die längst überfällige Monographie zur Romantik aus europäischer Perspektive und stellt die Tauglichkeit eines synchronistischen, interkulturellen Ansatzes lesenswert unter Beweis. In seinen Ergebnissen aber scheut Ziolkowski schlussendlich den systematisierenden Blick und bleibt damit hinter den eigens geschürten Erwartungen zurück.

An einer Literaturgeschichte der europäischen Romantik denken sich zurzeit die wohl führenden Köpfe der internationalen Romantikforschung die Köpfe heiß. Erste Publikationen wie das Oxford Handbook of European Romanticism (2016, hg, von Paul Hamilton) oder, im deutschsprachigen Raum, der Band Europäische Romantik (2015, hg. von Helmut Hühn) haben vor allem die überbordende Komplexität aufgezeigt, mit der eine Darstellung europäischer Romantik zu kämpfen hat. Dass es sich dabei nicht um eine konsistent erzählte Literaturgeschichte nach bewährtem Muster handeln kann, führt Ziolkowski zu seinem konzeptionellen Entschluss, jeweils ein Jahr aus fünf Dekaden auszuwählen, um sie auf dessen internationale Beiträge zur Romantik abzuklopfen: 1798, 1808, 1818, 1828, 1838 und schließlich 1848. Obwohl Ziolkowski die Austauschbarkeit dieser Daten anführt, erscheinen sie so beliebig nicht: Das Jahr 1798 eignet sich als Ausgangspunkt der internationalen Romantik mit der Erstausgabe des Athenäums, mit den Lyrical Ballads von Wordsworth und Coleridge und Goyas El sueño de la razón produce monstruos hervorragend; und ebenso leuchtet ihr Enddatum im internationalen Revolutionsjahr 1848 ein. Obwohl diese Periodisierung aus der Sicht mancher Einzeldisziplinen einige Jahre zu weit (Germanistik) oder aber zu kurz (Musikwissenschaft) greifen dürfte, erscheint sie aus internationaler Perspektive als ein valider und ernstzunehmender Vorschlag, da auch die vergleichsweise späten Romantiken z. B. aus Italien und Frankreich in großen Teilen umfasst werden.

Dabei ist es tatsächlich erstaunlich, wie Ziolkowski allein durch seine gelungene Auswahl charakteristische Analogien zwischen Werken aufdeckt, die – so sein Ansatz der kulturellen Synchronizität – möglichst wenig direkte Rezeptionslinien aufweisen. Mary Shelley und E.T.A. Hoffmann standen keineswegs im Austausch miteinander; und dennoch entwerfen beide im selben Jahr eine Poetik der unmittelbaren Vision, die bei Hoffmann als serapiontisches Prinzip, bei Shelleys Frankenstein als Auserzählung eines selbst empfundenen Traums in die Literaturgeschichten eingegangen ist. Solche Momente sind besonders erstaunlich und entfalten bei Ziolkowski im internationalen Spagat ihre Wirkung, wenn z. B. Walter Scott und Heinrich von Kleist im Jahr 1808 in signifikanter Ähnlichkeit zueinander ihre historischen Dramen konzipieren. Jede Station eröffnet dabei mit einem musikalischen Werk, allen voran Beethovens Pathétique (1798). Ziolkowski weiß, vor welche Herausforderung er damit die musikwissenschaftlichen Periodisierungen stellt. Sein Einspruch bleibt entsprechend milde und freundlich, doch aus interdisziplinärer Sicht erscheinen Ziolkowskis Rekalibrierungen Beethovens vom Proto- hin zum idealtypischen Romantiker so plausibel, dass man sich ergänzende Reaktionen aus den Musikwissenschaften wünscht.

Solche Querverbindungen beweisen eindrücklich, wie ergiebig eine Betrachtung der Romantik über die internationalen und medialen Grenzen hinaus sein kann. Allerdings stellt Ziolkowski seine Methode in eine nicht unproblematische Traditionslinie: Ausgerechnet Hegels Konzept eines weltdurchströmenden ‚Zeitgeists‘ dient ihm als Vorläufer seiner kulturellen Synchronizität, dessen Terminus er von C. G. Jung übernimmt. Übertragen auf kulturelle Phänomene erforscht Ziolkowski entsprechend „meaningful similarities among works created simultaneously in different countries and different genres with no apparent causal connections“ (S. 4), wobei dieses Ungewisse in der Verknüpfung auch in den Analysen ungeklärt bleibt. Glücklicherweise prägt Ziolkowski die esoterische Note von Hegels Zeitgeist nicht weiter aus; auch hilft ihm diese methodische Ausrichtung, um den Blick von den Rezeptionsprozessen auf tiefergreifende, strukturelle Parallelen zu richten. Am Ende aber entwickelt sich hieraus auch das latent unbefriedigende Ergebnis dieser Untersuchung, nämlich: dass manches verbindende Moment dieses Panoramas eben nicht benannt wird, sondern im Unscharfen verbleibt.

Ziolkowski bleibt damit der eingeübten Ansicht nach Lovejoy verhaftet, dass die internationale Romantik derart vielfältig auftritt, dass jede abstrahierende Benennung von Gemeinsamkeiten unterkomplex wäre. Innerhalb seiner Revision dieser so heterogenen Werke aber drängt sich die Frage nach den Ähnlichkeiten unweigerlich auf: Was ist es denn nun, das diese Werke verbindet, sodass man gesichert und getrost von einer europäischen Romantik als Phänomen sprechen kann? Tatsächlich schwächt der synchrone Zugang letztlich die Überzeugungskraft des asynchronen Arguments, demzufolge der Oberbegriff ‚Romantik‘ die verschiedenen Stationen noch zusammenhalten kann. Als romantisch gilt hier nur, was sich im Kanon bereits als romantisch durchgesetzt hat. Die Unterschiede zwischen den Stationen, die Ziolkowski herausarbeitet – ein „gradual fading of the religious sense“, ein „development in the use of framework“ oder „a new appreciation of the local scenes“ in späteren Werken (S. 226f.) – sind ungleich überzeugender als der kurze Absatz, in dem er sich dem verbindenden Moment zuwendet: Eine „veneration of art“ (S. 228) sei der kleinste gemeinsame Nenner europäischer Romantik, was ein vergleichsweise schwaches Bindeglied darstellt.

Das ist umso enttäuschender, als in der Lektüre der Einzelanalysen konkretere Gemeinsamkeiten zum Greifen nahe sind. Interessante Akzente setzen zum Beispiel die historischen Einleitungen, die Ziolkowski jeweils an den Beginn seiner Jahreskapitel stellt. Gerade in aller Kürze gelingt es hier, eine ambivalente Enttäuschung gegenüber den revolutionären Ideen herauszuarbeiten, welche die Romantikerinnen und Romantiker in ganz Europa verbindet. Napoleon ist es, der unterschwellig in allen Stationen Ziolkowskis auftaucht: Einerseits wirkt seine Energie auf viele Romantiker anregend, andererseits desillusioniert sie die schnelle und brutale Umwälzung traditioneller Werte. Dass sich eine ähnliche Konstellation z. B. in der Juli-Revolution von 1830 wiederholt, wie Ziolkowski andeutet, lässt eine verbindende biographische Erfahrung durchscheinen, welche die europäische Romantik allgemein grundiert. Dass solchen asynchronen Verbindungen nicht genauer nachgespürt wird, kann als Versäumnis des Buchs gewertet werden. Hoch anzurechnen ist aber, dass Ziolkowski zunächst das vielleicht drängendere Problem angeht, die Grenzen der Nationalliteraturen und Einzelkünste durch mutige Kontrastierungen aufzuweichen.

Ein grundlegendes Problem betrifft schließlich die Analysen selbst: Innerhalb der einzelnen Werkbetrachtungen kratzt die Argumentation häufig nur an der Oberfläche. Als Kontextualisierungen lesen sie sich zwar vergnüglich und können im Lektüreprozess zu weiteren Gedanken anregen; dennoch handelt es sich letztlich um gehobene Paraphrasen. Der Mehrwert des Buchs entsteht damit zwischen den Kapiteln. Manche Einzelthesen greifen zusätzlich etwas weit – so kann die Beweisführung, Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer stelle Goethe dar, nicht recht überzeugen. Überhaupt zeigt sich im Goethe-Exkurs noch einmal die systematische Unentschlossenheit, mit der das Buch zu kämpfen hat: Gehört Faust I jetzt zur europäischen Romantik oder nicht? Ziolkowski schlägt vor, das Drama auszuklammern, da es zeitgenössisch nicht als ‚romantisch‘ aufgenommen wurde. Auch hier bleibt die Frage offen, was es im Text sein könnte, was das Drama in eine Nähe oder Distanz zur Romantik rückt.

Ziolkowskis Stages of European Romanticism ist schließlich nur deshalb in Teilen ärgerlich, weil sie so innovativ angelegt ist. Die stets anregende Monographie gibt sich auf sympathische Weise unaufdringlich, was sie einerseits lesenswert macht, andererseits aber nur zu verhaltenen Werturteilen und Deutungen verleitet. Damit erfüllt Ziolkowski genau das Ziel, welches er an später Stelle in seinem Buch als Leitfaden enthüllt: „I have sought simply to consider groups of representative compositions, literary products, and paintings from various decades during the period generally conceded to be ‚Romantic‘ and to let their characteristics and common elements speak for themselves“ (S. 222). Nicht mehr und nicht weniger bietet die vorliegende Untersuchung, womit sie im besten Fall als Auftakt zu vertiefenden Untersuchungen dienen kann. Damit aber ist auf diesem überkomplexen Feld schon viel gewonnen: Die transkulturelle und -mediale Betrachtungsweise stellt sich als unbedingt anschlussfähig heraus und zeigt, wie durch gelungene Auswahl auch kleinerer Werke eine Geschichte europäischer Romantik möglich werden kann. Wie genau diese Romantiken aber verknüpft sind, diese Frage aller Fragen steht weiterhin zur Bearbeitung aus.

Rezension verfasst von Raphael Stübe

 

Die Rezension ist unter dem nachfolgenden Link dauerhaft abrufbar: https://doi.org/10.22032/dbt.61419

Stages of European Romanticism