Alexander J.B. Hampton
Transzendenz für ein Zeitalter der Immanenz
Die romantische Neuerfindung der Religion
Alexander J.B. Hampton erhebt den Anspruch einer historischen Neubewertung der Frühromantik. Dies geschieht mit Blick auf die Frage, in welcher Art und Weise die deutsche Frühromantik als eine Reaktion auf philosophische Umwälzungen ihrer Zeit zu verstehen sei und inwiefern sie sich als eine „Form von Transzendenz für ein Zeitalter der Immanenz“ verstehen lässt. Im Fokus des Buches steht somit die religiöse Vision der Frühromantik, die in den Werken von Friedrich Schlegel, Friedrich von Hardenberg und Friedrich Hölderlin vom Beginn ihres Schaffens bis zu den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts ihren Ausdruck findet. Darüber hinaus misst Hampton der Romantik eine gegenwartsproduktive Bedeutung zu, da es ihr Anliegen gewesen sei, mittels eines methodischen Neuansatzes menschliche Spiritualität jenseits von Rationalismus und Dogmatismus zu konzeptualisieren.
Die Untersuchung gliedert sich in drei große Teile, denen eine hinführende Einleitung vorangestellt ist. Teil eins widmet sich den Einflussfaktoren, wobei sowohl philosophische als auch religionstheoretische Voraussetzungen und deren Rekontextualisierung durch die Frühromantik zur Sprache kommen. Unter dem Titel Die Religion der Romantik. Transzendenz für ein Zeitalter der Immanenz bestimmt Hampton die Romantik als Rekontextualisierung unter den Vorzeichen der Säkularisierung im Blick auf die Vorstellungen von Subjektivität und Religion. Er macht damit deutlich, welche Problemhorizonte von der Romantik bearbeitet werden. Unter den Vorzeichen dieser Klärung rückt im zweiten Teil die Vorstellung des Absoluten an der Wende zum 19. Jahrhundert ins Zentrum der Untersuchung. Jacobi, Herder und Moritz werden von den zuvor entfalteten Entwürfen Spinozas und Fichtes abgegrenzt. Der Autor klärt damit das historische Erbe, mit dem sich die Romantik auseinandersetzt am konkreten historischen Material: Hampton erfasst das immanente Absolute bei Spinoza und Fichte, die Transzendenz des Absoluten bei Jacobi, die immanente Gegenwart des transzendenten Absoluten bei Herder und die Ästhetik des Absoluten bei Jacobi.
Durch diese Vorarbeit wird es möglich, im dritten Teil unter dem Titel Die Bestimmung des Dichters schließlich gemäß dem Anliegen der Untersuchung das religiöse Denken der Frühromantik in den Blick zu nehmen. Den jeweiligen Einzeluntersuchungen zu Schlegel und dessen dichterischer Suche nach einem unbekannten Gott, zu Hölderlins Werden und Auflösung des Absoluten sowie zu Novalis’ Sehnsucht, in der Welt zu Hause zu sein, stellt Hampton die Vorstellung des transzendenten Absoluten im Platonismus voran.
Abschließend entwickelt der Verfasser Perspektiven für die Gegenwart, wobei er die Geschichte der Romantik als „Geschichte der Wiederverzauberung und der wiedererlangten Transzendenz“ interpretiert. Das Erbe der Romantik bestimmt Hampton in zweifacher Weise: Es bestehe einerseits in dem Appell zum Aufbruch zu neuen spirituellen Gemeinschaften und andererseits in einer Individualisierung der Religion.
Im Ergebnis liefert Hampton einen typologischen Zugriff auf die unterschiedlichen Gestalten des Absoluten bei den genannten Autoren. In all diesen Formen erkennt er einen „transzendenten Realismus“ (5) als wesentlich für die romantische Bewegung. Hampton sieht in der Romantik eine „phantasievolle Inspiration der platonisch-christlichen realistischen Tradition“ (6). Diese habe einen produktiven, teilweise rezeptiven und teilweise ablehnenden Umgang mit der philosophischen Orientierung, wie sie durch Spinoza und Fichte repräsentiert wurde. Der ästhetische Religionsbegriff der Frühromantik wird als Verbindung des postkantischen Idealismus und des platonisch-christlichen Realismus analysiert. Hampton arbeitet unter Heranziehung des platonischen Realismus in der Romantik heraus, dass die Frühromantik durch den Versuch, die Dichotomie von Transzendenz und Immanenz zu überwinden, der historischen Säkularisierungstendenz entgegenwirkt. Die denkerische Grundlage dafür sieht der Verfasser in der Übernahme der spinozistischen Annahmen, dass nichts außer Gott sei, und der Überzeugung des nachkantischen Idealismus, dass jegliche menschliche Erfahrung durch den Geist strukturiert sei. So habe die Frühromantik eine „partizipative Ontologie“ (6) entwickelt, der zufolge „alles individuell Seiende, einschließlich des Selbst, dem absolut Seienden innewohnt […], wobei dieses selbst die Immanenz transzendiert“ (6). Das Mittel, dieses zu erlangen, sei im Falle der Frühromantik die Sprache der Ästhetik.
In der englischen Fassung hat Hampton das Buch bereits 2019 abgeschlossen. Die Veröffentlichungen von diesem Zeitraum an bis zur Veröffentlichung der deutschen Fassung finden, wie Hampton selbst im Vorwort einräumt, keine Beachtung.
Völlig unbeschadet dessen, leistet die Untersuchung einen interessanten und weiterführenden Beitrag zur Erforschung der religiösen Dimension der Frühromantik. Insbesondere das säkularisierungskritische Potential der frühromantischen Theoriebildung wird deutlich und überzeugend herausgearbeitet und ermöglicht zudem eine klare Perspektive auf die Beweggründe und Ziele der Bewegung. Seinem Anspruch, die zentralen religiösen Dimensionen der Frühromantik in neuem Zusammenhang zu erforschen, wird Hampton insbesondere durch einen reflektierten Religionsbegriff gerecht, welcher sich sowohl von einem institutionalisierenden sowie einem dogmatisch enggeführten Religionsbegriff abgrenzt. Dieser ermöglicht es auch, den produktiven Wert der philosophischen Voraussetzungen für Religionsverständnisse in der späten Moderne herauszuarbeiten. Das Eingehen auf die Entwicklung der Religion im 20. Jahrhundert gerät jedoch stellenweise zu indifferent in seinem globalen Urteil, wenn der Autor etwa eine „institutionelle Tendenz zur Verknöcherung“ (8) feststellt. Aufschlussreich ist demgegenüber die Unterscheidung einer Bevorzugung des Spirituellen vor dem Religiösen. Misst Hampton der Frühromantik für die Gegenwart die Bedeutung zu, die Religion kontinuierlich zu erneuern, so sieht er es als ihren leistungsfähigsten Beitrag an, eben jene Sprache der Transzendenz im Bereich der Ästhetik neu entdeckt zu haben. Damit leistet er einen überzeugenden Beitrag zur Erforschung religiöser Dimensionen der historischen Frühromantik und weist Perspektiven auf, gegenwärtige Fragen im Zusammenhang mit der Säkularisierung zu beleuchten.
Rezension verfasst von Mirjam Sauer
Die Rezension ist unter dem nachfolgenden Link dauerhaft abrufbar: https://doi.org/10.22032/dbt.61726