Maisha Wester, Xavier Aldana Reyes (Hgg.)
Twenty-First-Century Gothic
An Edinburgh Companion
Edinburgh University Press 2019
Mit dem 2019 erschienenen Edinburgh Companion Twenty-First Century Gothic legen die Herausgeber:innen Maisha Wester und Xavier Aldana Reyes einen Sammelband vor, der sich dem komplexen Thema zeitgenössischer Aktualisierungen des Gothic in Form eines breit aufgestellten Handbuchs widmet. In der Einleitung des Bandes verweisen die Herausgeber:innen bereits auf Problematiken des Begriffs, der einer steten Wandlung zu unterliegen scheint und sich mitunter Definitionsversuchen entzieht. Historisch – so betonen sie – erwächst das Phänomen aus einer Kritik an der die Aufklärung mit ihrer Rationalität, ihrer Ordnung und ihrem Fortschrittsdenken begleitenden Erosion von Sinn. In einem Dualismus von Angst und Faszination widmet sich die Gothic-Literatur weitreichenden kulturellen, politischen, sozialen und wissenschaftlichen Veränderungen. (7) Die Gothic Fiction des 21. Jahrhunderts nimmt dabei Motive auf, die in der Gothic Novel der Viktorianischen und Edwardianischen Zeit noch nicht zu finden waren, die jedoch „rückwirkend als Teil eines generativen Kanons des Gothic gelesen werden können“ (4). Darüber hinaus ist die Gothic Fiction im Gegensatz zu ihren Vorläufern selbst-referenziell geworden, sodass Bezugspunkte nicht mehr allein im 19. Jahrhundert zu suchen sind, sondern auch Stoffe des 20. und 21. Jahrhunderts zunehmend als Referenzen genutzt werden. Obwohl der Schwerpunkt des Bandes in der Literaturwissenschaft zu verorten ist, scheut er nicht davor zurück, auch Beispiele aus Film, TV und anderen Medien zu behandeln. (4) Erst durch diesen transmedialen Zugang wird die umfängliche Bearbeitung der Thematik möglich. Ein besonderes Merkmal ist der postkoloniale Zugang, der bewusst über die dem historischen Gothic als vornehmlich britischem Phänomen immanenten eurozentristischen Züge hinaus geht. Dies spiegelt sich auch in der Gliederung des Bandes, der sich in vier Sektionen teilt: Updating the Tradition, Contemporary Monsters, Contemporary Subgenres und Ethnogothic.
Die erste dieser Sektionen fragt unter dem Titel Updating the Tradition nach dem Einfluss politischer, ökonomischer und sozialer Entwicklungen auf die Gothic-Literatur des 21. Jahrhunderts. Der erste hier eingefasste Beitrag Postcolonial Gothic von Sarah Ilott beschreibt, wie die Literatur des postkolonialen Gothic antikoloniale Politik mit dem „Gothic-Mode“ (10; 24) verknüpft, um koloniale Gewaltmechanismen aufzudecken. Andrew J. Owens untersucht in seinem Text Queer Gothic Faszinationen für „nicht-normative Sexualitäten im Gothic Horror“ (33) und stützt sich dabei insbesondere auf Beispiele aus Film und Fernsehen. Gina Wisker arbeitet in ihrem Beitrag zu Postfeminist Gothic heraus, wie Literatur und Film des Gothic im 21. Jahrhundert einen kritischen Blick auf den Postfeminismus ermöglichen, um durch das Spiel mit fantastischen Figuren und Handlungen, reale Probleme von Frauen aufzuzeigen und im „besten Fall vor den wiederkehrenden Gespenstern der vorfeministischen Ungleichheiten“ (58) zu warnen. Der nächste Text Neoliberal Gothic von Linnie Blake zeigt auf, wie Stoffe des Gothic es vermögen, soziale Ungleichheiten aufzudecken und vorherrschende Ideologien zu kritisieren. Den letzten Beitrag der Sektion bildet Joseph Crawfords Aufsatz Gothic Digital Technologies, in dem er die enge Verbindung, die Gothic Fiction seit jeher mit technologischem Fortschritt eingeht, anhand digitaler Strukturen aufzeigt, die die Möglichkeiten des Internets diesem Genre im ausgehenden 20. und im 21. Jahrhundert boten und bieten.
Der zweite Abschnitt Contemporary Monsters widmet sich zentralen Motiven des Gothic im 21. Jahrhundert anhand seiner wiederkehrenden monströsen Protagonisten. Die versammelten Aufsätze beschreiben auf der Grundlage der Essays der ersten Sektion die Historie der jeweiligen Monster, benennen wichtige Beispiele aus Literatur und Film und zeigen verschiedene Interpretationsansätze auf. Gleich der erste Beitrag von Xavier Aldana Reyes beschäftigt sich mit Zombies und damit mit einer Figur, die in der Gothic Novel des 19. Jahrhunderts keine Vorläufer hat, wie der Autor zu Beginn des Textes anmerkt. (89) Überzeugend zeigt er im Folgenden jedoch auf, wie mit dem Zombie bereits bekannte Strukturen des Gothic fortgeführt und weiterentwickelt werden, um postmodernen Problematiken (Klimawandel, Pandemien etc.) und Endzeitängsten Raum zu geben. Deutlich traditioneller ist die Figur des Vampirs, die Sorcha Ní Fhlainn in ihrem Beitrag untersucht. Ihre Aufzählung bedeutender Beispiele vom 19. bis ins 20. Jahrhundert wird unterfüttert durch präzise Benennungen diskursiver Wandlungen und Neukonzeptionen, denen der Vampir in dieser langen Zeitspanne unterliegt. Bernice M. Murphys Untersuchung von Serienmördern beginnt hingegen erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts und konzentriert sich auf die Systematisierung divergenter Phänomene zwischen Fiktion und True Crime. Murray Leeders Text über Geister verzichtet ebenfalls auf eine starke historische Linienführung und sucht stattdessen, die vielen unterschiedlichen Formate (Geistergeschichte, Horrorfilm, Reality TV und YouTube), in denen Geister auftreten, zu theoretisieren. Der abschließende Beitrag über Werwölfe von Kaja Franck und Sam George zeichnet Konzeptionen dieser Figur seit der Antike nach und zeigt ihre vielfachen Veränderungen, die den Werwolf sukzessive von grausam zu sympathisch wandelten. Bedeutend sei dabei die enge Verbindung des Werwolfs mit Konzepten der Adoleszenz, die auch die jüngsten Ausprägungen der Figur wieder rückbinden an Erzählungen des Gothic (150–152).
Die dritte Sektion des Bandes Contemporary Subgenres beschäftigt sich mit erweiterten Erscheinungsformen des Gothic, die mit seinen Grenzen spielen, sie ausloten und erweitern. Carl H. Sederholms Beitrag nimmt in diesem Sinne das Genre des New Weird in Augenschein. Aus dem von H.P. Lovecraft proklamierten Weird erwachsen, brechen die Autor:innen des New Weird mit Grenzen der Genres Fantasy, Science-Fiction und Horror, um neue Wege zu finden, sich „in den Geist [der Rezipient:innen] einzugraben“ (164). Sharae Deckard beschreibt in ihrem Aufsatz über Ecogothic, wie die Furcht vor der agency der Natur mittels temporaler Dispositionen veranschaulicht wird, die eine Synchronisierung diachroner Ereignisse vornehmen. Mit Gothic Comedy untersucht Catherine Spooner in einem poststrukturalistischen Zugriff ein Subgenre, das sich dezidiert vom Unheimlichen des Gothic abwendet und stattdessen einen fröhlichen und bisweilen skurrilen (whimsical) Ton anschlägt. Claire Nally versucht in ihrem Text die medienübergreifende Subkultur des Steampunks zu definieren und von der des Goths abzugrenzen ohne dabei auf stereotype Klassifizierungen wie „braune vs. schwarze Farbpalette“ (207) zurückzugreifen. Genauso wie die Differenzen beleuchtet Nally dabei auch mannigfaltige Überschneidungen, die zunehmend ins Gewicht zu fallen scheinen. Im letzten Aufsatz des Abschnittes Posthuman Gothic beschäftigt Anya Heise-von der Lippe sich mit Phänomenen des Post- und Transhumanismus. Im Zentrum steht nicht nur die Rückbindung dieses Subgenres an die Literatur des Gothic und seine narratologischen Strategien, sondern auch die Wirkmacht, die die dem Posthumanismus inhärente Dekonstruktion des Menschlichen hat.
Der letzte Abschnitt des Bandes befasst sich mit Ethnogothic und greift damit aktuelle Tendenzen einer Erweiterung des Gothic über seine eurozentristischen Ursprünge hinaus auf. Rebecca Duncans Beitrag über South African Gothic untersucht, wie in jüngeren Stoffen des Gothic in Südafrika die Verhandlung postkolonialer Thematiken nicht mehr mittels einer „Logik der Heimsuchung“ (234), sondern zunehmend durch eine „Phänomenologie der Gewalt“ (235) behandelt werden. Der Aufsatz greift dabei Erkenntnisse auf, die Sarah Ilott in ihrem Text über Postcolonial Gothic im ersten Abschnitt des Buches herausgearbeitet hat. Unter dem Sammelbegriff Asian Gothic untersucht Katarzyna Ancuta das Motiv des rachsüchtigen Geistes, der sich in vielen Kulturen des asiatischen Raumes finden lässt. Häufig weiblich wird diese Figur zum Verhandlungsort patriarchaler Strukturen und feministischer Diskurse. Enrique Ajuria Ibarra beschäftigt sich im Folgenden mit Latin American Gothic und zeigt, wie lateinamerikanische Autor:innen und Filmemacher:innen regionale wie überregionale Monster in Stoffen verarbeiten, die auf genuine Ängste und Problematiken südamerikanischer Kultur und Politik reagieren. Mit dem darauffolgenden Beitrag über Aboriginal Gothic wendet sich Katrin Althans Texten und Filmen zu, in denen ihre indigenen Urheber:innen sich westlicher Konzepte des Gothic bedienen und sich diese aneignen. In der so erzielten Entfesselung eines subversiven Potenzials fordert das Aboriginal Gothic die „kulturelle Identität“ (276) der australischen Indigenen zurück. Abschließend nimmt Maisha Wester eine genauere Betrachtung des Black Diasporic Gothic vor, das Monster aus Erzählungen der afrikanischen Diaspora nutzt, um Erfahrungen des Schwarzseins im 21. Jahrhundert mit all seinem realen Schrecken darzustellen.
Der Band Twenty-First-Century Gothic bietet einen breiten Überblick der Aktualisierungen des Gothic im 21. Jahrhundert und erfüllt damit die Ansprüche und Herausforderungen, die mit der Form des Handbuches einhergehen, bravourös. Die einzelnen Abschnitte und Kapitel, die durch die gleichförmigen Titel der Beiträge den Anschein von Lemmata erhalten, geben dem Buch eine hervorragende Struktur, in der die Kapitel aufeinander aufbauen, ohne dabei die eigenständige Nutzbarkeit einzelner Abschnitte zu schmälern. Insgesamt stellt der Sammelband einen optimalen Einstieg in die Thematik dar, der sich aufgrund der detaillierten Literaturangaben sowie der systematischen Auflistung von Beispielen aus Literatur und Film in besonderem Maße auch für die (universitäre) Lehre eignet. Der deutliche postkoloniale Fokus des Bandes rundet den Eindruck ab.
Rezension verfasst von Mira Claire Zadrozny
Die Rezension ist unter dem nachfolgenden Link dauerhaft abrufbar: https://doi.org/10.22032/dbt.61378