Kate Reiserer

Vier Übersetzerinnen und ihre neun Ehemänner

Ehe und Übersetzung in der Romantik

Frank und Timme 2021

Mit ihrer 2021 erschienenen Untersuchung zielt Kate Reiserer auf ein wichtiges Forschungsdesiderat: Innerhalb des männlich codierten Archivs der Literaturgeschichte wird die Leistung von Frauen noch immer zu wenig gewürdigt. Reiserer macht darauf aufmerksam, dass es hier nach wie vor zu einer Umorientierung kommen muss. Dies tut die Autorin mit einem Beitrag zur „feministisch-soziologischen Übersetzer:innengeschichte“ (S. 7). Leitende Fragestellung der Untersuchung ist, wie die übersetzerische Arbeit von Frauen um 1800 durch die Ehe mit Übersetzern ermöglicht und beeinflusst wurde. Sowohl die gemeinsame Übersetzungspraxis, aber vor allem auch die eigenständige Leistung der Übersetzerinnen soll dabei beleuchtet werden. Reiserer bemängelt, dass in der Literatur- und Translationswissenschaft die literarische Qualität des Werks von Übersetzerinnen oftmals zugunsten einer biographistischen Herangehensweise in den Hintergrund gerückt ist. Um die Lebenssituation schreibender Frauen zu verdeutlichen, greift sie in ihrer Arbeit allerdings selbst auf die biographische Methode zurück, wobei sie auf die Grenzen dieser Methode hinweist und sie kritisch reflektiert.

In den Blick rückt die Übersetzungstätigkeit von vier Autorinnen im Umfeld der Jenaer Romantik: Caroline Michaelis, Therese Heyne, Dorothea (Brendel) Mendelssohn und Wilhelmina Klencke. Vorgestellt werden die Autorinnen zunächst mit ihren Mädchennamen, dann zusätzlich mit ihren unterschiedlichen, im Laufe ihrer mehrfachen Ehen zugewiesenen männlichen Nachnamen. Indem die Kapitelanfänge alle Nachnahmen der Frauen in ihrer jeweilig untersuchten Lebensphase nennen, soll die Unabhängigkeit der Frauen demonstriert werden. Allerdings sieht sich Reiserer schon aus pragmatischen Gründen gezwungen, auf diese umständlichen Namensreihungen zu verzichten, will aber offenbar die in der Literaturgeschichte üblichen Verkürzungen (Caroline Schlegel, Therese Huber, Dorothea Schlegel, Wilhelmina von Chézy) vermeiden. Ob die dann vorgenommene Rückkehr zur Nennung nur der weiblichen Vornamen und aus paritätischen Gründen auch die Nennung der Männer beim Vornamen eine praktikable Lösung für die Abhandlung (und darüber hinaus) darstellt, darf bezweifelt werden.

Etwas unpräzise wirkt der Titel der Studie: Vier Übersetzerinnen und ihre neun Ehemänner. Ehe und Übersetzung in der Romantik, in der die Namen der Frauen noch vorenthalten werden. Der Titel zeigt bereits an, dass die Untersuchung etwas umfangreicher angelegt ist, als die in der Einleitung dargelegte Fragestellung ankündigt. So geht die Arbeit über die Frage nach den Übersetzungsleistungen von Frauen um 1800 hinaus. Im Fokus stehen weniger die Übersetzungsleistungen selbst, als vielmehr biographische Skizzen der genannten Frauen, die einen informativen Einblick in die Lebenswelt von Autorinnen der Romantik bieten.

Die Untersuchung widmet sich, wie Reiserer in der Einleitung schreibt, der „Erforschung der Berufstätigkeit dieser Frauen“ (S. 13). Die Fokussierung auf das Übersetzen erscheint als Einstieg in eine breiter angelegte Untersuchung sozialer Rahmenbedingungen von Autorinnenschaft. Methodisch verortet sich die Arbeit trotzdem in der Translationswissenschaft und versteht sich als Beitrag zur „Translationskultur“ (Kapitel 2). Dieser umfangreiche theoretische Rahmen steht den späteren Ausführungen relativ isoliert gegenüber, da die Autorin nur kursorisch auf ihn zurückkommt. Aber auch ohne diesen Rahmen lassen sich die Ausführungen zu den intellektuellen Biographien der Übersetzerinnen gewinnbringend lesen.

Von dieser Schwierigkeit abgesehen gibt die Untersuchung einen interessanten Einblick in die übersetzerische und literarische Tätigkeit der vier Frauen. So war Therese Huber 1787 an der Übersetzung der dritten Reise von James Cook beteiligt. Während ihrer Ehe zu Ludwig Huber blieben ihre Übersetzungen allerdings anonym oder wurden unter seinem Namen veröffentlicht. Im Kontext ihrer Mitarbeit als Redakteurin des von Cotta herausgegebenen Morgenblatts verfasste Therese Huber zwischen 1807 und 1827 über 400 Übersetzungen, oftmals „zieltextorientierte“, d. h. freiere Übersetzungen (S. 118). Nach Erlangen eines gewissen Bekanntheitsgrads wurde sie erst 1819 zum ersten Mal mit vollem Namen als Autorin genannt.

Wilhelmina von Chézy leistete gemeinsame Übersetzungsarbeiten mit Dorothea Veit (später Schlegel). Hierzu gehören anonyme Übersetzungsarbeiten zu Friedrich Schlegels Sammlung romantischer Dichtung aus dem Mittelalter (1804). Von Wilhelmina von Chézy ist die zeitgenössisch positiv rezensierte Übersetzung des Schauspiels Die Silberlocke im Briefe (1815), basierend auf einem Werk von Pedro Calderón de la Barca, hervorzuheben, die selbstbewusst unter eigenem Namen erschien. Mit ihrer literarischen Arbeit, zu der nicht nur Übersetzungen, sondern hauptsächlich journalistische Tätigkeiten zählten, konnte Wilhelmina von Chézy bis zu ihrer zweiten Ehe selbstständig leben. Auch Dorothea Veit Schlegel war während ihrer Pariser Zeit von 1802 bis 1808 als Berufsübersetzerin tätig und schrieb unter anderem eine vierbändige Übersetzung des Romans Corinne ou l’Italie von Germaine de Staël (1807) mit Friedrich Schlegel als offiziellem Übersetzer, die in zeitgenössischer Kritik gut ankam.

Als prominentestes Beispiel weiblicher Übersetzungstätigkeit im Umkreis der Jenaer Romantik gelten die Arbeiten von Caroline Schlegel. Zu einem nicht unwesentlichen Teil hat sie an der von August Wilhelm Schlegel und Ludwig Tieck herausgegebenen Shakespeare-Übersetzung mitgewirkt. Zugleich handelt es sich hier um ein zentrales Fallbeispiel für eine insbesondere durch Männer beförderte Marginalisierung von Übersetzerinnen, die sich bis ins 20. Jahrhundert fortschreibt. So wurde bereits in der unmittelbaren zeitgenössischen Rezeption Caroline Schlegels Anteil als fragwürdig dargestellt: Sie kam nicht über den Status einer Zuarbeiterin hinaus und ihr Name blieb im Übersetzungswerk ungenannt. Die Untersuchung zeigt, wie auch in der Forschung ihr Anteil an der Shakespeare-Übersetzung überwiegend negativ gesehen worden ist, etwa mit despektierlichen Äußerungen wie „,Verschlimmbesserungen‘“ (S. 66).

Wenn auch die konkreten Übersetzungsleistungen der untersuchten Frauen nicht unmittelbar im Vordergrund stehen, so gibt Reiserer in ihrer Arbeit einen guten Einblick in die sozialen Rahmenbedingungen der Übersetzungskultur zur Zeit der Romantik. So bot die übersetzerische Tätigkeit Frauen erstmals eine Möglichkeit, am literarischen Diskurs teilzunehmen – wenn auch mit Einschränkungen. Denn, so argumentiert die Untersuchung, die Übersetzungsarbeit war eine Einstiegsmöglichkeit für Frauen in den literarischen Markt vor allem deshalb, weil sie nicht mit geniehafter Autorschaft assoziiert war, sondern als mechanische Tätigkeit betrachtet wurde, an der sich die Frauen bewähren sollten.

Mit der Dichotomisierung des literarischen Markts in ,hohe‘ und ,niedere‘ Literatur verschwanden auch die „gelehrten Frauenzimmer“ (S. 39), die schon in der Aufklärung nur mit Argwohn geduldet wurden. Im Bereich der Übersetzung wurde Frauen überwiegend belletristische Literatur überlassen, die ‚hohe Literatur‘ blieb Männern vorbehalten. Überzeugend erläutert Reiserer die Entwicklung unterschiedlicher sozialer Übersetzungsformen: Von einer sprachschöpferischen und würdevollen „Arbeit der höheren Stände“ (S. 35) in der Epoche der Aufklärung entwickelte sich die Übersetzungstätigkeit am Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend zu einer professionalisierten „Brodtarbeit“ (S. 35), der Markt wuchs durch die möglichst zeitnahe Übersetzung fremdsprachiger Literatur. Unter ökonomischen und materiellen Gesichtspunkten wurden sogenannte „Übersetzungsfabriken“ (Bachleitner) eingerichtet – wichtiges Beispiel ist die Übersetzungsfabrik von Georg Forster – in denen auch Frauen arbeiteten und in denen das Übersetzen unter Zeitdruck erledigt werden musste. Den Frauen wurden häufig Zuarbeiten und sogenannte „Rohübersetzungen“ (S. 42), im heutigen Sinne Sekretariatsarbeiten zugewiesen. Die Zusammenarbeit in solchen kollaborativen Übersetzungsfabriken war somit keineswegs gleichberechtigt. Darüber hinaus wurden ihre intellektuellen Vorleistungen nicht gewürdigt, in den Publikationen blieben die Übersetzerinnen ungenannt.

Die literarische und ökonomische Marginalisierung von Frauen wurde durch die soziale Institution der Ehe nur bedingt aufgehoben, sondern oftmals sogar verstärkt. So waren schreibende Frauen in den meisten Fällen unselbstständig auf das symbolische Kapital der Ehe angewiesen, um überhaupt am literarischen Diskurs teilnehmen zu können. Der Ehemann fungierte zumeist als „Schutzschild“ (S. 94), da das Schreiben und Übersetzen lediglich gesellschaftlich höher gestellten sowie verheirateten, unter männlicher Aufsicht arbeitenden Frauen zugestanden wurde. Die Untersuchung zieht in Betracht, dass das Übersetzen für Frauen eine Möglichkeit bot, ein materielles Auskommen zu sichern. Ob dies tatsächlich der Fall war, kann die Arbeit nicht eindeutig klären. Eine materielle Motivation wird lediglich als wahrscheinlich“ (S. 61) oder „vermutlich“ (S. 70) erwogen. Häufig diente die Übersetzungstätigkeit eher der Unterstützung des Ehemannes; einen finanziellen Gewinn gab es damit für die Frauen selbst nur indirekt. Wie am Beispiel Therese Hubers gezeigt wird, wurden literarische Ambitionen zumeist hinter einer finanziellen Motivation versteckt und blieben den Frauen somit im Kontext der mit Zeitdruck verbundenen „Brodtarbeit“ verwehrt.

Reiserers Abhandlung bezieht sich auf repräsentative Forschungsliteratur und gewährt einen guten Einblick in die Lebenswelten der Autorinnen sowie in die sozialen Rahmenbedingungen von Übersetzungspraxis um 1800. So liegt ein gelungener Beitrag vor, der nachdrücklich das Bewusstsein für die in der Literaturgeschichtsschreibung häufig verschwiegenen Aspekte romantischer Autorinnenschaft schärft.

Rezensiert von Catherine Weis

 

Die Rezension ist unter dem nachfolgenden Link dauerhaft abrufbar: https://doi.org/10.22032/dbt.61380

Vier Übersetzerinnen und ihre neun Ehemänner